Der Atomausstieg war zum Ende des Jahres geplant – doch wegen des Ukraine-Krieges droht eine Gasknappheit. Kann die Laufzeit der Atomkraftwerke einfach verlängert werden? Daniela Winkler und Roman Pfleiderer erklären die Rechtsgrundlagen.
In den vergangenen Tagen und Wochen wurden vermehrt Stimmen laut, die aufgrund des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen Einschränkungen bei der Gasversorgung eine Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke fordern.
Neben der grundsätzlichen Frage, ob eine solche Laufzeitverlängerung politisch gewollt und innerhalb der Ampelkoalition durchsetzbar ist, treten jedoch auch eine Vielzahl rechtlicher Fragen auf, die in der aktuellen Debatte zu kurz zu kommen scheinen.
Bei deren Analyse muss zwischen unterschiedlichen Lösungsvarianten differenziert werden: Eine Option ist der sogenannte Streckbetrieb. Dabei würde die insgesamt ohnehin vorgesehene Strommenge über einen längeren Zeitraum "gestreckt" produziert. Sollen die Kernkraftwerke hingegen zusätzliche Strommengen produzieren, um hierdurch etwa Gasausfälle zu kompensieren, wäre in jedem Fall der Erwerb neuer Brennstäbe erforderlich.
§ 7 Abs. 1a des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz, AtG) regelt die Laufzeit der einzelnen Atomkraftwerke. Die Laufzeit der letzten Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 endet mit Ablauf des 31. Dezember 2022. Alle anderen Kernkraftwerke wurden bereits in den vergangenen Jahren abgestellt.
Verlängerung der Betriebsgenehmigungen
Eine Laufzeitverlängerung würde daher zunächst eine Anpassung der gesetzlichen Regelungen erfordern. Sofern ein Streckbetrieb geplant ist, könnten die weiteren Vorgaben zur vorgesehenen Elektrizitätsmenge, die näher in § 7 Abs. 1a AtG i. V. m. der Anlage 3 Spalte 2 ausdifferenziert werden, beibehalten werden. Sollten hingegen sogar die Elektrizitätsmengen insgesamt erhöht werden, wäre hier eine weitere gesetzliche Anpassung dieser Vorgaben erforderlich.
Bei einem Weiterbetrieb der Kernkraftwerke müssten zudem gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 AtG die Betriebsgenehmigungen verlängert werden. Auch diese würden ansonsten zum Ende des Jahres 2022 auslaufen. Hierfür müssten sämtliche Genehmigungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AtG geprüft werden. So muss etwa gewährleistet sein, dass die eingesetzten Fachkräfte über die notwendigen Fachkenntnisse verfügen.
Dies könnte problematisch werden, soweit die arbeitsvertraglichen Beziehungen ebenfalls planmäßig zum 31. Dezember 2022 enden. Ein Weiterbetrieb würde daher ebenfalls eine Verlängerung dieser Arbeitsverträge verlangen.
In Übereinstimmung mit § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG würden außerdem Sicherheitsvorkehrungen erforderlich werden. Denn bereits in der Vergangenheit wurden die Atomkraftwerke im Zehn-Jahres-Turnus einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Die zuletzt 2019 anstehende Sicherheitsüberprüfung wurde aufgrund des anstehenden Atomausstiegs dann aber nicht mehr vorgenommen.
Gesetzgeber muss Voraussetzungen für Weiterbetrieb prüfen und bewerten
Sollte nun nicht lediglich ein – wenige Monate dauernder – Streckbetrieb, sondern ein langfristiger Weiterbetrieb geplant sein, so wäre eine erneute Überprüfung durchzuführen. Die Folge wären weitere, erhebliche Investitionen. Zudem muss eine Haftpflichtversicherung für die Erfüllung gesetzlicher Schadensersatzverpflichtungen bestehen.
Auch der Versicherungsschutz würde zum jetzigen Zeitpunkt mit dem Ende dieses Jahres ablaufen und müsste – teuer – verlängert werden. Da die Laufzeit der Betriebsgenehmigungen qua gesetzlicher Regelung niedergelegt wurde, bedarf eine Laufzeitverlängerung ebenfalls einer gesetzlichen Regelung.
Es liegt daher in der Hand des parlamentarischen Gesetzgebers, die beschriebenen Voraussetzungen für den Weiterbetrieb zu prüfen und zu bewerten.
Was passiert mit den Entschädigungszahlungen?
Teilweise wurden bereits Entschädigungszahlungen an die Betreiber der Atomkraftwerke ausgezahlt. § 7e AtG hält zudem den im Jahre 2021 vereinbarten finanziellen Ausgleich von 2,4 Milliarden Euro – aufgeschlüsselt in die einzelnen Beträge für die betroffenen Energiekonzerne – fest.
Ursprünglich wurden diese mit Blick auf die verkürzten Betriebsdauern zwischen Bundesregierung und den Unternehmen ausgehandelt und ausbezahlt. Sollte hiervon nun – aufgrund der geänderten Situation – abgewichen werden, müsste die gesetzliche Regelung angepasst werden.
Auf der Grundlage des § 7g AtG wurde zugleich ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen den betroffenen Energieversorgern und der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen (BT-Drs. 19/29015). Auch dieser regelt die Entschädigungszahlungen an die Kraftwerkbetreiber.
Im Gegenzug für den finanziellen Ausgleich hatten sich die Energiekonzerne verpflichtet, alle Klagen gegen den vorzeitigen Atomausstieg – auch die vor dem Bundesverfassungsgericht – fallen zu lassen und keine neuen Rechtsbehelfe anzustreben sowie auf schiedsgerichtliche Verfahren zu verzichten.
Kann der Bund die Anpassung des öffentlich-rechtlichen Vertrages verlangen?
Für eine Rückforderung eines Teils der Ausgleichszahlungen bedürfte es daher nicht nur einer Gesetzesänderung, sondern zugleich einer Abänderung dieser vertraglichen Vereinbarung. Der öffentlich-rechtliche Vertrag enthält keine Regelung für den Fall einer potenziellen Laufzeitverlängerung. Offenkundig wurde von den Vertragspartnern eine solche Entwicklung nicht vorhergesehen. Auch weitere Vereinbarungen zu Kündigungen oder Anpassungen sind nicht enthalten.
Einschlägig könnte allein § 13 Abs. 3 S. 1 des Vertrages sein, der die Anwendbarkeit des Teil IV des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) – also der gesetzlichen Vorschriften zum Verwaltungsvertrag – postuliert. Konkret sieht § 60 VwVfG die Anpassung oder Kündigung in besonderen Fällen vor.
Nach Abs. 1 kann daher eine Anpassung der vertraglichen Vereinbarung verlangt werden, soweit sich die dem Vertrag zugrunde liegenden Verhältnisse so wesentlich geändert haben, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen Regelung nicht mehr zuzumuten ist. Auf dieser Grundlage könnte die Bundesrepublik Deutschland im Falle eines Weiterbetriebs der Kernkraftwerke jenseits eines Streckbetriebs gegebenenfalls eine Vertragsanpassung fordern.
Bund als "Quasieigner" der Atomkraftwerke
Aus einem Prüfvermerk von Bundeswirtschaftsministerium und Bundesumweltministerium vom 7. März dieses Jahres lässt sich jedoch ablesen, dass die Energiekonzerne bereits kommuniziert haben, dass im Falle eines Weiterbetriebs der Bund als "Quasieigner" tätig werden und damit die Kontrolle und Verantwortung über Investitionen, Kosten und Erträge übernehmen soll. Dies würde zum einen dazu führen, dass die oben aufgeführten Genehmigungsvoraussetzungen – etwa auch die erforderliche Haftpflichtversicherung – von Seiten des Bundes sichergestellt werden müssten.
Zudem zielt die Argumentation der Kraftwerksbetreiber darauf hin, dass der Weiterbetrieb – zumindest, soweit er über einen kurzfristigen Steckbetrieb hinausgeht – mit weiteren Kosten verbunden ist. Für diese Kosten fühlen sich die Betreiber nicht verantwortlich. An dem Rechtsgrund für die bereits gezahlten Entschädigungen würde sich hingegen nichts ändern.
Ein – insbesondere über den bloßen Streckbetrieb – hinausgehender Weiterbetrieb würde deshalb weitreichende rechtliche Schwierigkeiten aufwerfen. Diese kommen jedenfalls in der politischen Diskussion bei weitem zu kurz.
Die Autorin Prof. Dr. Daniela Winkler ist Professorin für öffentliches Recht am Institut für Volkswirtschaftslehre und Recht der Universität Stuttgart. Der Autor Roman Pfleiderer ist dort Akademischer Mitarbeiter.
Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke: . In: Legal Tribune Online, 08.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49251 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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