Vorratsdatenspeicherung passiert Bundesrat: Gesetz kommt wieder vors BVerfG

06.11.2015

Der Bundesrat hat das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung passieren lassen. Schleswig-Holstein und Thüringen hatten vergeblich beantragt, einen Vermittlungsausschuss anzurufen. Ein Antrag beim BVerfG ist bereits gestellt.

Der Bundesrat hat am Freitag das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten gebilligt (BR-Drucksache 492/15). Trotz scharfer Kritik von Opposition und Datenschützern haben die Länder damit im Einklang mit dem Bundestag eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschlossen.

Wenn das Gesetz in Kraft tritt, werden bei Anrufen zukünftig Rufnummern sowie Zeitpunkt und Dauer des Gesprächs gespeichert. Bei Mobilfunkverbindungen sind auch die Standortdaten vorzuhalten. Kommt eine Internetverbindung zustande, werden IP-Adressen einschließlich Zeitpunkt und Dauer der Vergabe erfasst. E-Mails sind von der Speicherung ausgenommen.

Die Speicherfrist von Daten ist auf zehn Wochen beschränkt: Unmittelbar nach Ablauf der Speicherfrist müssen sie gelöscht werden. Standortdaten dürfen nur vier Wochen gespeichert werden. Auf die Verkehrsdaten dürfen Behörden nur zugreifen, um schwerste Straftaten zu verfolgen - über den Zugriff auf die Daten muss ein Richter entscheiden.

Um gespeicherte Daten vor Ausspähung zu schützen, führt das Gesetz den Straftatbestand der Datenhehlerei ein. Danach ist es strafbar, Daten entgegenzunehmen, die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat - beispielsweise einen Hackerangriff - erlangt hat. Journalistische Arbeit wird von dem Straftatbestand nicht erfasst.

Schleswig-Holstein und Thüringen wollten Vermittlungsausschuss

Mehrere Politiker und Initiativen kündigten bereits an, gegen das Gesetz zu klagen, notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Bereits im Jahr 2010 war ein erstes Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vom BVerfG für nichtig erklärt worden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hob die europäische Richtlinie, die dem Gesetz zugrunde lag, im Jahr 2014 auf. Mit dem neuen Gesetz sollen die Vorgaben beider Urteile berücksichtigt werden.

Linke, Grüne, Piraten, FDP und Netzaktivisten halten das Vorhaben für verfassungswidrig und unverhältnismäßig. Doch für den Antrag der rot-rot-grünen Thüringer Landesregierung, unterstützt vom Landtag Schleswig-Holsteins, den Vermittlungsausschuss anzurufen, gab es in der Länderkammer keine Mehrheit.  

Thüringen hatte das Ziel verfolgt, den Gesetzentwurf einer "generellen Überarbeitung" zu unterziehen und auch Alternativen zu einer Vorratsdatenspeicherung zu prüfen. Der Beschluss hierzu wurde unter anderem damit begründet, dass das Gesetz "mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta) nicht vereinbar" sei.

Kritik: Berufsgeheimnisträger nicht solide geschützt

Die im Gesetz vorgesehene "verdachtsunabhängige Speicherung von Kommunikationsdaten auf Vorrat führe zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in den Schutz personenbezogener Daten und damit in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbunden, erklärte Thüringens Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) am Donnerstag. So seien beispielsweise Berufsgeheimnisträger nicht von der Speicherpflicht ausgenommen.

Das ist seit der Vorlage des Entwurfs auch einer der Hauptkritikpunkte aus der Anwaltschaft, die bemängelten, dass die Kommunikationsdaten von Anwälten, Ärzten, Seelsorgern und Journalisten der Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung in vollem Umfang unterfallen. Zudem soll es zulässig sein, diese Daten für eine Bestandsdatenauskunft (§ 113 c Abs. 1 Nr. 3 TKG-E) zu verwenden. Lediglich die gezielte Abfrage von Daten zum Zwecke der Strafverfolgung soll unzulässig sein (§ 100 g Abs. 4 Satz 1 StPO-E). Dies aber auch nur dann, wenn der Berufsgeheimnisträger nicht selbst einer Straftat verdächtig ist (§ 100 g Abs. 4 Satz 5 StPO-E i.V.m. § 160 Abs. 4 StPO).

Auch der Deutsche Journalistenverband, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und ver.di hatten an die anderen Bundesländer appelliert, sich Thüringens Initiative anzuschließen. Die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung würden den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs zur Wahrung des Berufsgeheimnisses widersprechen, so der BDZV.

Piraten appellieren an Gauck - und wollen bis nach Karlsruhe

Die Piratenpartei plant nach eigener Aussage, nun zunächst an den Bundespräsidenten zu appellieren, die Unterschrift unter das Gesetz zu verweigern. In einem bereits verfassten Brief an Joachim Gauck, unterzeichnet vom Bundesvorsitzenden der Piratenpartei Deutschland, Stefan Körner, sowie zwei weiteren Mitgliedern, heißt es: "Die Gefahr durch politischen wie behördlichen Missbrauch sowie die Möglichkeit der Einschränkung der Pressefreiheit gefährden unsere Freiheit und unsere Demokratie. (...) Sie persönlich sind in der DDR engagiert für Freiheit und Demokratie eingetreten. Wir wollen wie Sie auch nicht in einem Überwachungsstaat leben."

Einer der Unterzeichner, der Schleswig-Holsteiner Abgeordnete Patrick Breyer, Themenbeauftragter der Piratenpartei für den Datenschutz, wird wohl erneut vor das BVerfG ziehen. "Das vom Bundestag beschlossene Gesetz ist unverhältnismäßig, Datenauskünfte über Internetnutzer sind nicht auf schwere Straftaten beschränkt und die Schutzmaßnahmen für Berufsgeheimnisträger sind unzureichend."

Vertreten wird die nun geplante Beschwerde von dem Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik, mit dem Breyer bereits das erste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vor dem BVerfG im Jahr 2010 gekippt hatte.

Update*: Antrag beim BVerfG eingereicht

Kurz nach der Zustimmung auch des Bundesrates zur Wiedereinführung der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung hat die Berliner Kanzlei MMR Müller Müller Rößner Rechtsanwälte Partnerschaft beim BVerfG den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, um das Gesetz zu stoppen. Die Verfassungsbeschwerde werde noch eingereicht.

Sie hätten den Antrag als betroffene Berufsgeheimnisträger gestellt, teilten die Berliner Anwälte Carl Christian Müller und Sören Rößner mit. Mit einem Erlass einer einstweiligen Anordnung solle erreicht werden, dass die Speicherpflicht der Telekommunikationsanbieter bis zur Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde ausgesetzt wird. "Das Bundesverfassungsgericht hat stets betont, dass diese schlechthin konstituierend für eine demokratische Grundordnung sind und dass der Datenschutz hiermit korrespondiert. Vor diesem Hintergrund kann die Vorratsdatenspeicherung keinen Bestand haben", so Müller und Rößner auf der Website der Kanzlei.

Dieser Initiative haben sich darüber hinaus der Deutsche Medienverband (DMV) e.V. sowie der DJV Deutsche Journalisten-Verband, Landesverband Berlin-Brandenburg e.V. angeschlossen. Darüber hinaus tritt eine Reihe von Journalisten, die Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne), als Antragsteller auf. Daneben haben sich dem Antrag neun Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses aus verschiedenen Fraktionen angeschlossen.

* Update am Tag der Veröffentlichung, 17:06 Uhr.

ahe/LTO-Redaktion

Mit Materialien von dpa

Zitiervorschlag

Vorratsdatenspeicherung passiert Bundesrat: . In: Legal Tribune Online, 06.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17468 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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