Schlussanträge der Generalanwältin am EuGH: Asyl für desertierte US-Soldaten?

11.11.2014

Deserteure könnten Asyl beanspruchen, wenn sie durch den Militärdienst in die Begehung von Kriegsverbrechen verwickelt werden könnten und bei Verweigerung eine Strafverfolgung oder Bestrafung befürchten, meint Generalanwältin Sharpston. Fraglich ist jedoch, ob der EuGH ihrem Antrag folgen wird.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens darüber zu entscheiden, ob ein desertierter US-Soldat in Deutschland Anspruch auf Asyl hat. Am Dienstag stellte die Generalanwältin Eleanor Sharpston nun die Schlussanträge. Sie sprach sich bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen für eine Anerkennung von Deserteuren als Flüchtlinge aus.

Der US-Soldat Andre Lawrence Shepherd hatte wegen der Ablehnung seines Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Klage vor dem Bayrischen Verwaltungsgericht (VG) München erhoben. Dabei hatte er sich auf die sogenannte Anerkennungsrichtlinie berufen. Das VG hatte dem EuGH daraufhin mehrere Auslegungsfragen zu Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) der EU-Richtlinie über Mindestnormen für die Anerkennung von Flüchtlingen (Richtlinie 2004/83/EG) im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens (Az. C-472/13) vorgelegt.

Nach der Richtlinie kann ein Drittstaatsangehöriger, der die begründete Furcht hat, in seinem Heimatland unter anderem wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt zu werden, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in der EU beantragen. Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) sieht vor, dass Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt eine Verfolgungshandlung im Sinne der Anerkennungsrichtlinie darstellen kann. Voraussetzung ist, dass der Militärdienst die Begehung von Kriegsverbrechen umfassen würde. Die zentrale Frage ist aber vielmehr, ob die Regelung auf eine Person in der Lage des US-Soldaten überhaupt anwendbar ist.

Behörde: Kein Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung

Shepherd verpflichtete sich im Jahr 2003 zum Dienst bei den US-Streitkräften, wo er zum Wartungstechniker ausgebildet wurde. Im Jahr 2004 in den Irak versetzt, wo er insbesondere Hubschrauber wartete. Im Februar 2005 kehrte der Soldat an seinen Stationierungsort in Deutschland zurück. In der folgenden Zeit begann er mehr und mehr, an der Rechtmäßigkeit des Irak-Kriegs zu zweifeln. Als er 2007 den Befehl zum erneuten Einsatz im Irak erhielt, war er schließlich zu der Auffassung gelangt, dass der Krieg völkerrechtswidrig sei. Insbesondere durch den zunehmenden Einsatz der Apache-Hubschrauber, die ohne ihn und andere Wartungstechniker nicht kampftauglich seien, würden vermehrt Zivilpersonen beeinträchtigt und humanitäres Völkerrecht verletzt.

Der Wartungstechniker wollte keine Gefahr laufen, im Rahmen des Irakeinsatzes seiner Einheit an Kriegsverbrechen teilzunehmen und desertierte daher am 11. April 2007. Die Stellung eines Antrags bei den US-Behörden auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zog er nicht in Betracht, da er Krieg und Anwendung von Gewalt nicht grundsätzlich ablehnt. Tatsächlich hatte er sich nach Ablauf seiner ursprünglichen Dienstzeit weiterverpflichtet. Er ging davon aus, dass ein Antrag auf Verweigerung des Militärdienstes ihn nicht vor einem erneuten Einsatz im Irak geschützt hätte.

Da ihm wegen der Verweigerung, den Militärdienst im Irak zu erfüllen, seitens der US-Behörden Strafverfolgung wegen Desertion droht, beantragte der Soldat im August 2008 Asyl in Deutschland. Den Antrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im März 2011 jedoch ab. Zum einen gebe es kein Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Außerdem habe Herr Shepherd den Militärdienst auf legale Weise quittieren können. Schließlich sei die Anerkennungsrichtlinie auf eine Person in seiner Lage nicht anwendbar.

Generalanwältin plädiert für Deserteure

In ihrem Schlussvortrag vertrat die Genanwältin nun die gegenteilige Auffassung. Auch nicht zur kämpfenden Truppe gehörende Militärangehörige könnten Asyl beanspruchen, da die Richtlinie aufgrund ihres Wortlauts und der übergeordneten Zielsetzung gerade so auszulegen sei, dass sämtliche Militärangehörige von ihr erfasst würden.

Sharpston räumte jedoch auch ein, dass die weiteren Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 Buchst. e) der Richtlinie schwierig zu beurteilen seien.

So sei zunächst problematisch, wann die Veranlassung zu einem Kriegsverbrechen tatsächlich vorliege. Die Beurteilung dessen unterscheide sich wesentlich von in Strafverfahren durchgeführten ex-post-Untersuchungen, da hier das mögliche Kriegsverbrechen in der Zukunft liege. Es käme vielmehr darauf an, ob der Antragsteller Gefahr liefe, Kriegsverbrechen zu verüben. Ein Nachweis jenseits vernünftiger Zweifel, dass mit völkerstrafrechtlichen Verstößen zu rechnen sei, werde nicht verlangt. Abzustellen sei vielmehr auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Handlung, die einen notwendigen Tatbeitrag zu einem Kriegsverbrechen darstellen würde.

Art. 9 der Richtlinie müsse zudem unabhängig von nationalen oder internationalen Regelungen zur Strafverfolgung und Bestrafung von Kriegsverbrechen gelten. Denn selbst wenn diese von der Begehung solcher Taten abschrecken mögen, sei es eine nicht zu leugnende Tatsache, dass Kriegsverbrechen trotzdem begangen würden. Eine andere Beurteilung könne sich auch nicht bei Vorliegen eines UN-Mandates ergeben, denn ein solches schließe nicht die Möglichkeit aus, dass Kriegsverbrechen begangen wurden oder künftig begangen werden.

Werden Deserteure in den USA ausgegrenzt?

Bei der Frage der Anerkennung von Herrn Shepherd als Flüchtling sei darauf abzustellen, ob eine Verknüpfung zwischen den in dieser Richtlinie aufgeführten Verfolgungsgründen und den in Art. 9 bezeichneten Verfolgungshandlungen besteht. Bei der Beurteilung, ob Herr Shepherd als Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe anzusehen ist, müssen die nationalen Behörden berücksichtigen, ob er in Bezug auf den betreffenden Konflikt eine Überzeugung vertritt, die ein ausreichendes Maß an Schlüssigkeit, Ernsthaftigkeit, Geschlossenheit und Wichtigkeit aufweist. Die Behörden müssen dann prüfen, ob bei Zugrundelegung der für sie verfügbaren Angaben vernünftigerweise angenommen werden kann, dass in den USA Personen, die sich in der konkreten Situation wie Herr Shepherd befinden, als andersartig betrachtet werden und von der Gesellschaft insgesamt in einer bestimmten Weise behandelt werden.

Nach Auffassung der Generalanwältin ist ein Deserteur jedoch dann nicht als Flüchtling anzuerkennen, wenn er der Verfolgung durch die Stellung eines Antrags auf Kriegsdienstverweigerung nach einer einschlägigen nationalen Regelung hätte entgehen können. Dies müsse jedoch anders beurteilt werden, wenn ihm als aktivem Soldaten die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer verwehrt gewesen sei.

Weiterhin war die Generalanwältin der Ansicht, dass sich abstrakt nicht feststellen lasse, ob die unehrenhafte Entlassung eines Deserteurs und die damit möglicherweise verbundene nationale Strafverfolgung eine Verfolgungshandlung im Sinne der Richtlinie darstelle. Da Staaten Deserteure grundsätzlich verfolgen dürften, wenn die Desertion nicht aus anerkannten Gewissensgründen erfolge, käme es hier auf den Einzelfall an. Trotz eines legitimen Rechts auf Unterhaltung einer Streitkraft müssten die US-Behörden dann prüfen, ob die Strafverfolgung unverhältnismäßig oder diskriminierend sei.

afl/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Schlussanträge der Generalanwältin am EuGH: . In: Legal Tribune Online, 11.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13771 (abgerufen am: 16.11.2024 )

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