Wie weit darf sich ein Regierungschef positionieren, ohne dabei gegen seine Neutralitätspflicht und die Chancengleichheit der Parteien zu verletzen? Ein Streit zwischen Berlins Bürgermeister Müller und der AfD ist nun entschieden.
Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck durfte 2013 zum Protest gegen "Spinner" aufrufen, die damalige Bundesforschungsministerin Johanna Wanka aber 2015 der AfD nicht die "rote Karte" zeigen. Einen weiteren Fall zu Äußerungen von politischen Amtsträgern hatte jetzt der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) des Landes Berlin zu entscheiden. Dort ist die AfD mit einem Organstreifverfahren gegen Berlins regierenden Bürgermeister Michael Müller gescheitert. Mit einem Tweet habe er nicht gegen das Neutralitätsgebot als Amtsträger verstoßen und das Recht auf Chancengleichheit verletzt (Urt. v. 20.02.2019, Az. VerfGH 80/18).
Beim Kurznachrichtendienst Twitter hatte sich Müller im Mai 2018 hinter eine Protestaktion gestellt, deren Anlass eine parallel stattfindende AfD-Demonstration war. "Zehntausende in #Berlin heute auf der Straße, vor dem #BrandenburgerTor und auf dem Wasser. Was für ein eindrucksvolles Signal für Demokratie und #Freiheit, gegen Rassismus und menschenfeindliche Hetze", hieß es in Müllers Tweet, der über seinen offiziellen Account als Regierungschef verbreitet wurde.
Müller-Tweet ohne Bezug zur AfD
Die AfD hatte daraufhin vor dem VerfGH gegen Müller ein Organstreitverfahren angestrengt: Sie sah in dem Tweet eine Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb aus Art. 21 Grundgesetz (GG). Der Inhaber eines Regierungsamtes sei bei Äußerungen in amtlicher Funktion zur Neutralität verpflichtet und dürfe nicht einseitig zu Lasten einer Partei Stellung nehmen, trug die AfD vor. Müller habe mit der positiven Bewerbung der Gegenveranstaltung daher gegen die Verfassung verstoßen.
Dieser Ansicht folgten die Berliner Verfassungsrichter allerdings nicht und wiesen den Antrag der AfD zurück. Sie rechneten die Äußerung zwar dem Berliner Bürgermeister in seiner amtlichen Funktion zu. Ihnen fehlte in Müllers Tweet aber jeglicher Bezug zur AfD, aus dem sich ein Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit ergeben könnte. Der Tweet habe weder eine Kollektivbezeichnung, die für die AfD stehen könnte, noch sonst irgendeine sprachliche Anspielung enthalten.
Der VerfGH berücksichtigte bei seiner Entscheidung auch, dass neben der angesprochenen Veranstaltung eine Kundgebung der AfD stattfand und sich möglicherweise aus dem Demonstrationsgeschehen an diesem Tag ein Bezug zur Partei herstellen lasse. Aber auch das ginge aus der Nachricht selbst nicht hervor, so die Berliner Richter. Dafür bräuchte es vielmehr Wissen aus anderen Quellen, das bei dem maßgeblichen objektiven Empfänger der Twitter-Nachricht nicht unterstellt werden könne.
Bürgermeister hat nur Regeierungsposition wiedergegeben
Zudem beschränke sich der Tweet darauf, sich mit allgemeinen Wertebekenntnissen von Demonstranten zu solidarisieren. Der VerfGH wies daraufhin, dass der Tweet, der sich unter anderem gegen Rassismus und menschenfeindliche Hetze wendet, lediglich die Grundposition der Regierung wiedergebe. Dies gehöre zum Wesensgehalt der Verfassung und sei dem Parteienstreit daher entzogen.
Müller begrüßte die Entscheidung der Verfassungsrichter. Natürlich müsse er sich als regierender Bürgermeister politisch neutral verhalten. Das Gericht habe aber klargestellt, dass es trotzdem noch möglich sei, sich politisch eindeutig auch in bestimmten Situationen zu äußern. "Darüber freue ich mich", so Müller. Die Entscheidung des Gerichts sei ein gutes Signal für die Demokratie, erklärte die Linke-Vorsitzende Katina Schubert. Gerade in der heutigen Zeit würden Politiker mit Haltung gebraucht.
Am 27. Mai 2018 hatten sich rund 5.000 AfD-Anhänger in Berlin zu einer Demonstration versammelt. Unter dem Motto "AfD wegbassen" machten gleichzeitig etwa 25.000 Menschen an verschiedenen Stellen dagegen mobil.
mgö/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
VerfGH Berlin zur Neutralitätspflicht des Berliner Bürgermeisters: . In: Legal Tribune Online, 20.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33951 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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