Die Straßen Richtung Polen sind voller Staus, doch wer es aus der Ukraine in die EU schafft, darf hier von der Aufnahme ausgehen. Jeder darf einen Asylantrag stellen und wer aus einem bewaffneten Konflikt kommt, hat Recht auf subsidiären Schutz.
Für die Menschen in der Ukraine, die sich in Sicherheit bringen möchten, sind die faktischen Umstände gerade das Fluchtproblem. Der Luftraum über der Ukraine ist gesperrt, "da geht nichts mehr rein oder raus", erklärt der Sprecher des Flughafens Frankfurt. Die Straßen in dem Land sind voller Autos, es bilden sich lange Staus.
Doch wer es an die Grenze zur Europäischen Union (EU) schafft, kann mit einem biometrischen Pass visumsfrei einreisen – und zunächst einmal bis zu 90 Tage bleiben. Zudem kann jeder Mensch einen Asylantrag stellen: "Das Asylrecht ist ein Jedermann Recht", erinnert Dr. Constantin Hruschka, Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik.
Die Frage, wer wie lange bleiben darf und auf welcher rechtlichen Grundlage, stellt sich erst als zweites. "Bei einem formellen Vorgehen nach den Dublin-Regeln ist das Land für einen Asylantrag zuständig, in dem Schutzsuchende erstmals europäischen Boden betreten haben", sagt Dr. Matthias Lehnert, auf Asyl- und Ausländerrecht spezialisierter Rechtsanwalt aus Leipzig. Das wären bei der Ukraine zwangsläufig die EU-Nachbarstaaten Polen, Slowakei, Ungarn und Rumänien.
Bei einem internationalen bewaffneten Konflikt erhalten die Menschen in einem Asylverfahren ein Bleiberecht mindestens als subsidiär Schutzberechtigter. Das folgt aus § 4 Asylgesetz, der sich wortgleich in der Qualifikationsrichtlinie findet und damit in ganz Europa gilt.
"Als Lehre aus dem Jugoslawien-Konflikt, als es noch kein gemeinsames europäisches Asylsystem gab, wurde daneben mit dem sogenannten vorübergehenden Schutz für Massenfluchtsituationen ein Instrumentarium geschaffen, mit dem sich die EU-Länder darauf verständigen könnten, die Schutzsuchenden innerhalb Europas zu verteilen", erklärt Hruschka.
Alternative Lösung außerhalb des Asylverfahrens?
Diese Prinzip könnte zum Tragen kommen: "Wir verfolgen sehr aufmerksam, ob es Fluchtbewegungen in unsere Nachbarländer geben wird", sagte Bundesinnenministerin Faeser nach einem Bericht des Spiegels nach einer Schalte mit den Länderinnenministern. "Wir werden die betroffenen Staaten – vor allem unser Nachbarland Polen – massiv unterstützen, sollte es zu großen Fluchtbewegungen kommen." Womöglich könne den Menschen auch ein Aufenthalt zum "vorübergehenden Schutz" gewährt werden, anstatt ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen.
"Sollte es zu so einer Vereinbarung kommen, wären die Menschen nicht im Asylverfahren und dementsprechend würde sich auch die Dublin-Problematik nicht stellen", sagt Anwalt Lehnert. "Für die Schutzsuchenden wäre das eine bessere Lösung, da dies schnellere und unbürokratischere Hilfe bieten könnte".
Die Schätzungen der zu erwarteten Anzahl Schutzsuchender verändert sich ständig: Die EU-Kommission geht laut einer Meldung des RND nach letzten Schätzungen davon aus, dass zwischen 20.000 und mehr als einer Million Ukrainer in der Europäischen Union Schutz suchen würden. US-amerikanische Geheimdienste sprachen sogar von bis zu fünf Millionen.
Aus der Ukraine flüchten Menschen seit Jahren, im Jahr 2020 stellten 11.066 Menschen laut der Datenbank laenderinfo.de einen Asylantrag in anderen Ländern. Das entspricht ca. 0,025% aller Einwohner des Landes mit rund 41 Millionen Einwohnern. Die häufigsten Aufnahmeländer davon waren danach Russland, Frankreich und Spanien. Nach Deutschland flohen damals aus der Ukraine insgesamt 462 Menschen. Mit fünf positiven Entscheidungen wurden 3,38 Prozent aller Neuanträge angenommen. Das dürfte sich künftig erheblich ändern.
Flucht aus der Ukraine: . In: Legal Tribune Online, 24.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47641 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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