Nach Richter-Reisen mit republikanischen Großspendern: Sup­reme Court gibt sich Ver­hal­tens­kodex

von Louis Strelow

14.11.2023

Privatjet-Flüge, Yacht-Reisen, Angel-Trips: Die haben konservative Milliärdäre Richtern des Supreme Courts spendiert. Jetzt gibt sich das Gericht einen Ethikkodex. Louis Strelow über die Diskussion in den USA und die Lage in Deutschland. 

Die Richter:innen des Supreme Courts, der Oberste Gerichtshof in den USA, haben erstmals einen Verhaltenskodex verabschiedet. Das geht aus einer Mitteilung des Gerichtshofs vom Montagnachmittag (Ortszeit, Washington D.C.) hervor. In dem Dokument ist unter anderem beschrieben, wann sie sich von einem Fall zurückziehen müssen – zum Beispiel, weil "persönliche Voreingenommenheit" oder "ein finanzielles Interesse" besteht. Der Kodex verbietet den Richter:innen außerdem, bei Veranstaltungen von politischen Parteien oder Wahlkampagnen zu sprechen, und beschränkt die rechtmäßige Annahme von Geschenken. 

Kritik an mangelnder Durchsetzbarkeit

Unklar bleibt, wer für die Durchsetzung des Verhaltenskodex verantwortlich ist und welche Strafen bei Nichtbeachtung drohen. In dem Dokument räumen die Richter:innen ein, dass dafür möglicherweise zusätzliche Ressourcen erforderlich seien. Dies solle nun geprüft werden.

Wie der Guardian berichtete, kritisierten sogenannte Watchdog-Organisationen den Verhaltenskodex daher unter anderem als "PR-Stunt, um die amerikanische Bevölkerung zu besänftigen". Auch der demokratische US-Senator Sheldon Whitehouse, der als nachdrücklicher Befürworter eines Verhaltenskodex für den Supreme Court gilt, sagte in einem Video auf X, dass der Kodex grundlegende Fragen zur Durchsetzung unbeantwortet lasse. Sein Fazit: "That job is not done" – die Aufgabe ist noch nicht erledigt.

Richter reisten mit republikanischen Großspendern

Während etwa US-Bundesrichter:innen bereits einem Verhaltenskodex unterworfen sind, gab es für das mächtigste Gericht der USA bis zur Ankündigung am Montag kein entsprechendes Regelwerk. "Zum größten Teil sind diese Regeln und Prinzipien nicht neu", hieß es einleitend in dem Dokument. Das Fehlen einer einheitlich festgelegten Linie habe jedoch zu dem "Missverständnis" in der öffentlichen Wahrnehmung geführt, dass die Obersten Richterinnen und Richter sich im Gegensatz zu anderen Jurist:innen im Land durch keinerlei ethische Regeln eingeschränkt gefühlt hätten.

Anstoß zum Verhaltenskodex gaben unter anderem Berichte über teure Geschenke des Immobilienmoguls Harlan Crow an den Supreme-Court-Richter Clarence Thomas. Crow gilt als Großspender für die Republikanische Partei, der unter anderem Donald Trump angehört, und hatte Thomas nach einem Bericht der Investigativ-Publikation ProPublica unter anderem eine Reise nach Indonesien im Jahr 2019 spendiert, inklusive Aufenthalt auf Crows Jacht. Sie seien auch in dessen Privatjet unterwegs gewesen. Das begründete Richter Thomas, der am Supreme Court in der Regel stramm konservative Positionen vertritt, mit Sicherheitsgründen: Ihm sei wegen seiner ablehnenden Haltung zum Abtreibungsrecht und der möglichen Reaktion gewaltbereiter Linker zum Verzicht auf Linienflüge geraten worden. 

Urteil zugunsten des "Angelfreunds"?

Neben Thomas geriet dabei unter anderem auch sein ebenfalls rechtskonservativer Richter-Kollege Samuel Alito in den Fokus. ProRepublica wirft ihm vor, mit dem Großspender der Republikanischen Partei Paul Singer einen Angelurlaub gemacht zu haben. Danach habe der Supreme Court mehrmals über Fälle entschieden, bei denen Singers Hedgefond beteiligte Partei war.

Ein Bericht der Associated Press macht außerdem der Supreme Court-Richterin Sonia Sotomayor einen Vorwurf: Die Mitarbeitenden der von Barack Obama nominierte Richterin sollen sehr offensiv versucht haben, Bücher Sotomayors an Hochschulen und Büchereien zu verkaufen. Laut Bericht wurden sie dabei von Steuergeldern bezahlt.

Ob das konkret krisitierte Verhalten der Richter:innen vom neuen Verhaltenskodex nun als verboten erfasst wäre, teilte der Supreme Court nicht mit.

Gemischtes Bild in Deutschland

Auch in Deutschland ist die Debatte um Verhaltensregeln für Richter:innen an obersten Bundesgerichten nicht neu. So hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seit 2018 Verhaltensleitlinien, die sich auf die Zeit im Amt und danach beziehen. Die Richtlinien beschränken ebenfalls die Entgegennahme von Geschenken und Zuwendungen an die Verfassungsrichter:innen. Schon 2003 hatte das Plenum des BVerfG eine Wertgrenze von 150 Euro für jegliche Geschenke beschlossen. Auch dürfen die Richter:innen am BVerfG nur begrenzt Vergütung für Vorträge und Publikationen erhalten. Nach Ausscheiden aus dem Amt sollen sie unter anderem nicht vor dem BVerfG vertreten.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hingegen hat keinen Verhaltenskodex für seine Richter:innen, wie ein BGH-Sprecher gegenüber LTO bestätigte. Für die Arbeit von Bundesrichter:innen gelten allerdings gesetzliche Regelungen, die sich aus einem Verweis von § 46 Deutsches Richtergesetz auf beamtenrechtliche Vorschriften ergeben. Beschränkt ist etwa die Ausübung von Nebentätigkeiten, die Annahme von Zuwendungen sowie die Tätigkeiten nach dem Eintritt in den Ruhestand. 

Auch Richtlinien des BVerfG nicht durchsetzbar

Wie beim Supreme Court gilt für den BVerfG hinsichtlich der Verhaltensrichtlinien: Rechtlich durchsetzbar sind diese nicht, auch Sanktionen sind nicht vorgesehen. Als Verfassungsorgan hat das BVerfG keine Dienstaufsicht. Außerdem gibt es keine Kontrollinstanz, die etwa die Meldungen der Einkünfte auf ihre Richtigkeit prüft. Die Angaben der Richter:innen sind indes öffentlich einzusehen. Das BVerfG dürfte beim Beschluss seiner Verhaltensrichtlinien damals eine ähnliche Motivlage gehabt haben wie jetzt der Supreme Court: die öffentliche Wahrnehmung der Institution. Damals wuchs die Kritik am BVerfG, insbesondere wegen des Verhaltens einiger Ex-Verfassungsrichter.

Der Supreme Court verliert seit Jahren kontinuierlich das Vertrauen der Bevölkerung: Am 1. September 2023 drückten in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup 58% der Befragten ihr Missfallen mit der Arbeit des Supreme Courts aus – der Höchstwert, zumindest seit der Jahrtausendwende. 

Mit Materialien von dpa

Zitiervorschlag

Nach Richter-Reisen mit republikanischen Großspendern: . In: Legal Tribune Online, 14.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53163 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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