Staatsanwaltschaft will Freiheitsstrafe für Familienrichter: "Den Rechts­staat mit Füßen get­reten"

von Tanja Podolski

21.08.2023

Im Verfahren gegen einen Familienrichter am AG Weimar wegen Rechtsbeugung hielten Staatsanwaltschaft und Verteidiger ihre Plädoyers. Am Mittwoch wird in dem Fall das Urteil gesprochen.

Ein Familienrichter, der 2021 mit seiner Entscheidung Corona-Maßnahmen an zwei Weimarer Schulen beenden wollte, soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft für drei Jahre ins Gefängnis. Der Jurist habe sich der Rechtsbeugung schuldig gemacht, indem er im Verborgenen und "mit hoher krimineller Energie" ein Kinderschutzverfahren aufgesetzt habe, sagte die Staatsanwältin am Freitag vor dem Landgericht (LG) Erfurt.

"Er wollte ein Fanal gegen die seinerzeit bestehenden staatlichen Maßnahmen setzen", sagte die Staatsanwältin. Dabei habe sich der Richter willkürlich von Recht und Gesetz entfernt und dabei "den Rechtsstaat mit Füßen getreten".

Im April 2021 hatte der Familienrichter Christian D. mit einem von ihm verfassten Beschluss verfügt, dass die Kinder an zwei Schulen in Weimar entgegen des damals geltenden Hygienekonzepts des Thüringer Bildungsministeriums keine Corona-Masken im Unterricht tragen sollten. Das Oberlandesgericht (OLG) in Jena hat diese Entscheidung längst aufgehoben, Richter D. war gar nicht zuständig für diese Fragen.

Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hat der jetzige Prozess bewiesen, dass der Richter über Wochen hinweg gezielt in verschiedenen Netzwerken nach Kindern gesucht hatte, in deren Fällen er gegen die Maskenpflicht urteilen konnte. Schließlich habe er zwei Kinder gefunden, deren Eltern ihm die Einleitung eines Kinderschutzverfahrens ermöglichten.

StA: "Kinder waren Mittel zum Zweck"

Gutachten, auf die sich D. in seinem Beschluss gestützt hatte, sollten belegen, dass das Kindeswohl durch die Maßnahmen gefährdet sei. Der Vorsitzende Richter in dem nun zu entscheidenen Strafverfahren, Detlef Hampel, hatte beim Prozessauftakt indes Dokumente verlesen, aus denen hervorging, dass die Gutachten schon vor einer entsprechenden Verfügung durch den Familienrichter erstellt worden waren. Der Richter selbst soll als Mitglied im "Netzwerk kritische Richter und Staatsanwälte" an entsprechenden Musterschreiben zur Anregung derartiger Kindeswohl-Verfahren mitgewirkt haben, so die Staatsanwaltschaft beim Prozessauftakt.

Die Staatsanwaltschaft hatte viele Beweise auf die Auswertung der Kommunikation des Richtes in sozialen Netzwerken nach Durchsuchungen der Privat- und Diensträume sowie des Autos des Richters gestützt.

Die Kinder seien für D. demnach nur Mittel zum Zweck gewesen, um gegen Corona-Schutzmaßnahmen vorzugehen, sagte die Staatsanwältin am vergangenen Freitag. "Die Kinder waren nur Marionetten, Namensgeber für dieses Verfahren." Das zeige sich auch daran, dass die Gutachter, auf die er seinen Beschluss gestützt hatte, von ihm niemals den Auftrag erhalten hätten, die beiden Kinder zu begutachten. "Diese Kinder haben ihn null interessiert", sagte die Staatsanwältin.

Schon indem der Familienrichter seinen Beschluss für alle Schüler der beiden Weimarer Schulen erließ, habe er bewusst gegen geltendes Recht verstoßen. Er sei nach dem Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts gar nicht für alle Kinder der beiden Schulen zuständig gewesen. Zudem hätten alle Eltern der beiden Schulen angehört werden müssen.

Verteidiger fordern Freispruch

Die Strafverteidiger D., Peter Tuppat und Dr. h.c. Gerhard Strate, kamen in dem Prozess zu einer anderen Schlussfolgerung und forderten einen Freispruch. Dass sich der Familienrichter angesichts der massiven Corona-Beschränkungen damals schon vor dem Verfahren Gedanken darüber gemacht habe, ob damit das Wohl von Kindern gefährdet werde, sei legitim und nachvollziehbar, sagte einer der Anwälte. "Das ist doch nicht im Ansatz angreifbar, nicht im Ansatz." Ohnehin seien die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen insbesondere gegenüber Kindern völlig überzogen gewesen.

Die Verteidigung des Mannes bestritt zudem unter anderem, dass vor dem Erlass des Beschlusses alle Eltern der zwei Weimarer Schulen hätten angehört werden müssen. Es müsse deshalb einen "zwingend erforderlichen Freispruch" für den Angeklagten geben.

D. ist bereits seit Januar vorläufig vom Dienst suspendiert, seine Bezüge sind um 25 Prozent gekürzt. Das Dienstgericht für Richter und Staatsanwälte am LG Meiningen war davon überzeugt, dass der Richter "bewusst und schwerwiegend" gegen die Rechtspflege verstoßen habe. Dabei habe er "lange geplant und überlegt" gehandelt. Das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in die Amtsführung des Richters sei "unheilbar zerstört".

Das Urteil in dem Strafverfahren soll am Mittwoch verkündet werden.

Mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Staatsanwaltschaft will Freiheitsstrafe für Familienrichter: . In: Legal Tribune Online, 21.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52524 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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