OVG Hamburg zur Vollverschleierung: 16-Jäh­rige darf mit Niqab zur Schule gehen

03.02.2020

Einer 16-jährigen Berufsschülerin hat die Schule untersagt, mit einem Niqab im Unterricht zu erscheinen. Für so ein Verbot braucht es aber eine gesetzliche Grundlage, entschied nun das OVG Hamburg.

Eine Schule hatte eine Mutter mit einer Verfügung unter Androhung von Zwangsmitteln verpflichten wollen, ihre Tochter unverschleiert in die Schule zu schicken. Das ist ohne eine gesetzliche Grundlage jedoch nicht möglich, so das Verwaltungsgericht Hamburg (VG) in einer jetzt bekannt gewordenen Entscheidung (Beschl. v. 20.12.2019, Az. 2 E 5812/19). Auch die anschließende Beschwerde der Schulbehörde an das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) blieb erfolglos (Beschl. v. 29.1.2020, Az. 1 Bs 6/20).

Eine 16-Jährige Berufsschülerin aus Hamburg hatte sich für das Tragen eines Niqabs, also eines das ganze Gesicht bedeckenden Schleiers, entschieden und so auch die Schule besucht. Das wollte die Schule aber nicht hinnehmen, die Schulaufsicht erließ eine Verfügung gegen die Mutter. Unter Androhung von Zwangsmitteln wurde sie dazu aufgefordert, ihre Tochter ohne einen Niqab in die Schule zu schicken. Gegen diese Verfügung ging die Mutter im Wege des Eilrechtsschutzes vor. 

Streit um die Glaubensfreiheit

Die Mutter brachte vor, dass die Schule durch diese Verfügung in die Religionsfreiheit ihrer Tochter eingreife. Das Tragen der Vollverschleierung entspreche den religiösen Überzeugungen des Mädchens, zu denen die Mutter sie weder anhalte noch davon abhalte. Ihre Tochter würde sehr gerne zur Schule kommen, sie sei freundlich, friedlich, höflich und lernbegierig. Wenn sie in der Schule aber keinen Schleier tragen dürfe, wäre der Schulbesuch für sie nicht mit ihrer Religion zu vereinbaren.

Die Schulaufsicht wandte dagegen ein, die von der Schülerin durch das Tragen des Schleiers zum Ausdruck gebrachte Haltung sei "zutiefst frauenfeindlich, weil sie weibliche Personen zu bloßen Gegenständen degradiere, deren körperliche Präsenz in der Öffentlichkeit verhüllt und entindividualisiert werde". Dies sei nicht mit dem Erziehungs- und Bildungsauftrag des Staates vereinbar. 

Außerdem sei der Eingriff in die Religionsfreiheit nur gering, da das Mädchen nur auf dem Schulgelände nicht verschleiert sein dürfe und zudem bekannt sei, dass nach islamischer Lehre Gläubigen kein Vorwurf gemacht werde, wenn sie Glaubensregeln nicht einhalten könnten, weil sie in einem Staat lebten, der nicht nach islamischem Recht konstituiert sei. Schließlich besuche die 16-Jährige die Berufsschule gerade, um eine Berufsausbildung beginnen zu können. Es seien aber ohnehin keine Ausbildungsbetriebe bekannt, die Vollverschleierte einstellen würden. 

Kein Verbot der Verschleierung ohne Gesetz

Das VG Hamburg schloss sich dieser Argumentation der Schulaufsichtsbehörde nicht an. Abgesehen davon, dass die Schulaufsicht für den Erlass der Verfügung gar nicht zuständig gewesen sei, könnten die angeführten Gründe in der Interessenabwägung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht überwiegen. Es sei nicht ersichtlich, warum ein Niqab, der die Augen unbedeckt lasse, die für den Schulbesuch erforderliche Kommunikation verhindere. Durch das Verbot, in der Schule keinen Niqab zu tragen, werde außerdem in die Religionsfreiheit der Schülerin eingegriffen. Die 16-Jährige sei noch schulpflichtig, müsse also die Schule besuchen. Dies könne sie dann aber nur, indem sie ihre Religionsüberzeugungen zurückstelle. Für eine solche Einschränkung der Glaubensfreiheit bedürfe es einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage und eine solche bestehe im Hamburger Schulgesetz nicht. 

Das Gericht führt aus, dass es verschiedene gesetzliche Möglichkeiten gebe, die Verschleierungen zu verbieten. Beispiele seien das Verbot einer Verschleierung von an Gerichtsverhandlungen beteiligten Personen (§ 176 Abs. 2 S. 1 Gerichtsverfassungsgesetz) - das mit dem Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens am 13. Dezember 2019 eingeführt wurde - oder von bayerischen Schülerinnen und Schülern (§ 56 Abs. 4 S. 2 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen). 

Die gegen diesen Beschluss des VG gerichtete Beschwerde an das OVG Hamburg hatte nun ebenfalls keinen Erfolg. Das OVG bestätigte die Entscheidung des VG, insbesondere sei eine gesetzliche Grundlage für einen so wesentlichen Grundrechtseingriff unbedingt notwendig. 

Verbot der Verschleierung durch Gesetz?

Für Hamburg gibt es eine derartige Regelung jedoch nicht. Daher hat das VG die Vereinbarkeit eines Verbotes mit höherrangigem Recht auch nicht weiter geprüft.

Verschiedene Verschleierungsverbote haben in der Vergangenheit die Gerichte beschäftigt: So kippte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen (BVerfG, Beschl. v. 27.1.2015, 1 BvR 471/10), der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sah in Belgien ein Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum als rechtmäßig an (EGMR, Entsch. v. 1.7.2014, 43835/11- S.A.S. gegen Frankreich).

Der Hamburger Schulsenator Ties Rabe kündigte bereits nach der Entscheidung des VG an, weiter für das Verbot der Vollverschleierung zu kämpfen - auch, wenn weitere juristische Schritte erfolglos bleiben würden. Notfalls werde das Schulgesetz geändert, sagte der SPD-Politiker. Egal, was welche Kultur oder Religion vorschreibe: In der Schule habe jeder und jede offen das Gesicht zu zeigen, so seine Überzeugung. Er begründet dies damit, dass pädagogische Prozesse aus der Kommunikation zwischen den Lehrenden und den Lernenden oder auch den Lernenden untereinander schöpfen. Und dies funktioniere nur, "wenn auch Mimik und Gestik in die Kommunikation mit einbezogen werden". 

Gesetzesvorhaben in Kiel

In Kiel wird ein solches Verbot der Vollverschleierung im Moment im Landtag von Schleswig-Holstein diskutiert, dort geht es um ein Verbot von Verschleierungen an Hochschulen. Zuletzt haben die Grünen im Landtag dazu ein klares Nein geäußert. Wie brisant das Thema ist, zeigten die Reaktionen auf dieses Nein, die sogar aus der eigenen Partei kamen. Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, erklärte, eine Vollverschleierung sei noch etwas ganz anderes als ein Kopftuch. Das Verbot der Vollverschleierung befürwortete er: "Hier geht es darum, die Frau als Mensch im öffentlichen Raum unsichtbar zu machen. Warum? Damit Männer nicht wie Tiere über sie herfallen? Sorry, das überzeugt mich nicht." 

CDU und FDP dagegen wollen ein solches Verbot im Hochschulgesetz verankern. Hintergrund ist der Fall einer muslimischen Studentin der Kieler Universität. Die Hochschule hatte ihr eine Vollverschleierung in Lehrveranstaltungen verboten. Sie kam trotzdem immer wieder auch verschleiert zu Veranstaltungen. Die Uni bat das Land deshalb, eine Regelung zu schaffen, die ein Verbot möglich machen würde.

ast/dpa/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

OVG Hamburg zur Vollverschleierung: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40069 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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