Der SWR darf seine Undercover-Doku weiterhin ausstrahlen, entschied das OLG Stuttgart am Mittwoch. Zwar sei das Material rechtswidrig erlangt, durch die Ausstrahlung aber grobe Missstände beim Autobauer aufgedeckt worden.
Im Streit um die Fernsehdokumentation "Hungerlohn am Fließband" zwischen dem Südwestdeutschen Rundfunk (SWR) und der Daimler AG hat nun auch das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart entschieden. Es wies am Mittwoch die Berufung des Autobauers zurück (Urt. v. 08.07.2015, Az. 4 U 182/14).
Das Filmmaterial der Dokumentation war auf umstrittene Art und Weise entstanden. Ein SWR-Reporter hatte sich undercover als Fließbandkraft beworben und seine Arbeit in den Werken der Daimler AG mit versteckter Kamera gefilmt. Ein Verstoß gegen das Hausrecht, wie das Unternehmen unmittelbar nach der Ausstrahlung monierte.
Dreharbeiten rechtswidrig, Ausstrahlung gerechtfertigt
Auch das OLG führte am Mittwoch aus, dass durch die Anfertigung des Filmmaterials die Rechte der Daimler AG verletzt worden seien, namentlich das Hausrecht und das Unternehmenspersönlichkeitsrecht. Aber obwohl die Beschaffung des Materials rechtswidrig sei, stehe der Daimler AG kein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Ausstrahlung des Films zu. Denn diese sei aufgrund einer Abwägung mit der Meinungs- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) wiederrum nicht rechtswidrig, lautet die Entscheidung.
Die maßgeblichen Grundsätze ihrer Abwägung entnahmen die OLG-Richter dem sog. Wallraff-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Demnach ist eine Veröffentlichung rechtswidrig erlangten Materials ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Bedeutung des Gezeigten für die öffentliche Meinungsbildung eindeutig die Nachteile überwiegt, welche der Rechtsbruch für den Betroffenen nach sich ziehen muss.
Nötig sei also, dass durch die Veröffentlichung ein erheblicher Missstand aufgedeckt wird, der die Ausstrahlung rechtfertigt. Diesen sahen die Richter darin, dass die Daimler AG Arbeitskräfte zu einem Lohn beschäftige, der weniger als halb so hoch sei, wie der Verdienst der Stamm- und Leiharbeitnehmer des Unternehmens. Das Gericht spricht von 8,19 Euro brutto zum Zeitpunkt des geheimen Drehs.
Daimler betrügt Allgemeinheit
Dies gelinge der Daimler AG dadurch, dass sie ihre Arbeitsabläufe ausweislich der Dokumentation zerteile, indem sie einzelne zu erledigende Arbeiten herausbreche, sie dann als "Werk" definiere und per Werkvertrag an Drittunternehmer abgebe. Hierdurch sei es ihr möglich, für diese Arbeiten weder Stamm- noch Leiharbeitnehmer einsetzen zu müssen, sondern die Mitarbeiter der Subunternehmer, die hierfür weniger als die Hälfte an Lohn erhielten. Sie trage damit dazu bei, dass diese "Werklöhner" je nach Familiensituation einen Anspruch auf Aufstockungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II hätten. Im Ergebnis vermeide Daimler also eigene Kosten, was jedoch zu Lasten der Allgemeinheit gehe. Denn diese finanziere die Aufstockungsleistungen, so das Gericht.
Die Entscheidung hatte sich bereits vor wenigen Wochen angedeutet. Damals ließ das OLG in der mündlichen Verhandlung durchblicken, dass es die Ausstrahlung des Films womöglich für zulässig erachte. Es hatte den Parteien allerdings eine Einigung vorgeschlagen. Diese kam nicht zustande.
Die Daimler AG hatte bereits vor dem Landgericht Stuttgart eine Niederlage erlitten. Das OLG hat eine Revision nicht zugelassen. Möglich ist aber die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof.
una/LTO-Redaktion
OLG Stuttgart zu SWR-Doku "Hungerlohn am Fließband": . In: Legal Tribune Online, 08.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16140 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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