Für VW zeichnet sich im Diesel-Skandal weiteres Ungemach ab: Nach Ansicht des OLG Köln können Diesel-Kunden nicht nur den Kaufpreis ersetzt verlangen, sondern diesen auch verzinsen. Das sieht der Autobauer anders.
"Nicht nachvollziehbar" sei es, wie das Gericht zu einem solchen Schluss kommen könne, kritisierte VW-Sprecher Christopher Hauss gegenüber LTO. Es geht dabei um einen Hinweisbeschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Köln (Beschl. v. 29.04.2019, Az. 16 U 30/19, 1 0138/18). Denn sollte sich die Ansicht des 16. Zivilsenats durchsetzen, würde dies wohl beträchtliche Mehrkosten für den ohnehin schon zahlreichen Schadensersatzprozessen ausgesetzten Konzern bedeuten.
In der Affäre rund um die wohl illegalen Abschalteinrichtungen in Diesel-Fahrzeugen hat VW es bislang meist verstanden, obergerichtliche Entscheidungen u. a. durch Vergleiche zu verhindern, sodass sich bislang noch kaum eine einheitliche Rechtsprechung herausgebildet hat. Die Justiz hat in der jüngeren Vergangenheit reagiert und ihre Ansicht durch veröffentlichte Hinweisbeschlüsse kundgetan, so u. a. das OLG Karlsruhe und auch der Bundesgerichtshof. Nun hat das OLG Köln nachgezogen und dabei, wie schon die Karlsruher Kollegen, zunächst eine sittenwidrige Schädigung der Kunden durch VW bejaht, was zu einem Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) führe. Die Berufung gegen ein entsprechendes Urteil des Landgerichts (LG) Bonn gedenke man daher zurückzuweisen, heißt es im Beschluss, der LTO exklusiv vorliegt.
Das Gericht sah in der Abschaltvorrichtung, welche die Messung von Stickoxiden auf Prüfständen beeinflusst, einen "gravierende[n] Mangel", der "bewusst herbeigeführt und sodann vor staatlichen Stellen verschleiert" worden sei, "um zum Zwecke der Gewinnezielung in großem Umfang Fahrzeuge zu verkaufen, welche als besonders umweltfreundlich gelten und beworben werden sollten". Dies sah der Senat als besonders verwerflich an. Das Vorbringen von VW, dass dem Vorstand die Manipulationen in der Motorenentwicklung nicht bekannt gewesen sein könnten, bezeichneten die Richter als "nicht einmal ansatzweise" genügend. Soweit entsprach der Beschluss einer durchaus prominenten Auffassung in der Rechtsprechung. Interessanter sind eher die Ausführungen zur Verzinsung des Kaufpreises, den die Kläger ersetzt verlangten.
OLG: Verzinsung schon ab Kaufdatum möglich
Das OLG bestätigte nämlich die Auffassung des LG, wonach der Anspruch nicht nur ab Rechtshängigkeit - also ab Erhebung der Klage -, sondern auch schon vorher zu verzinsen sei. Der frühere Zinsanspruch ergebe sich dabei aus §§ 829, 246 BGB als sogenannter Deliktszins. "Ist wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen", so kann der Verletzte den Betrag verzinsen, bestimmt § 849.
Zweck der Vorschrift ist es, dem Geschädigten einen pauschalen Ausgleich dafür zu gewähren, dass er die entzogene Sache nicht mehr nutzen konnte. Dem Wortlaut nach passt diese Norm nicht auf den VW-Sachverhalt, doch die Gerichte können sich auf den BGH stützen, der sie auf jeden Sachverlust durch ein Delikt, wie zum Beispiel auch eine Geldüberweisung, erstreckt. Hier, so die Auffassung des LG Bonn, habe VW die Käufer durch Täuschung über die Abschaltvorrichtung zur Zahlung des Preises veranlasst und ihm so die Summe "entzogen", weshalb sie dafür auch Zinsen erhalten müssten. Der Geschädigte kann nach § 849 BGB die Zinsen zudem "von dem Zeitpunkt an verlangen, welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird". Im Fall vor dem OLG Köln war dies erst der 6. April 2018, grundsätzlich kann der Zinsanspruch aber schon ab dem Kaufdatum bestehen.
VW nimmt die Ankündigung des OLG offenbar sehr ernst und hat den Passauer Zivilrechtsprofessor Thomas Riehm mit einem Gutachten zu dieser Fragestellung beauftragt. Riehm hatte bereits in einem Aufsatz in der Fachpublikation Neue Juristische Wochenschrift (NJW) Kritik an dieser bislang schon vereinzelt von Landgerichten vertretenen Auffassung geübt.
VW: Keine Zinsen bei Nutzung voll funktionsfähiger Fahrzeuge
Im Fall getäuschter VW-Kunden, so der Professor in seinem Aufsatz, ergebe sich der Schaden nicht aus einer objektiven Vermögensminderung, da der Kunde ja schließlich ein voll funktionsfähiges Fahrzeug erhalten habe, sondern allenfalls daraus, dass das Fahrzeug unerwünschte Eigenschaften aufweise. Der BGH habe die Vorschrift des § 849 aber bislang nur dann auf Fälle einer Geldüberweisung analog angewandt, in denen dem Geschädigten kein Ersatz für seine Zahlung zugeflossen sei. Davon könne hier nicht die Rede sein, denn die Fahrzeuge seien schließlich "ihr Geld wert".
"Aus unserer Sicht ist es nicht nachvollziehbar, wie das Gericht zu einem solchen Schluss kommen kann", erklärte VW-Sprecher Hauss gegenüber LTO. Im Ergebnis bekämen Kunden so zusätzlich zum Kaufpreis diesen auch noch voll verzinst, obwohl sie in der ganzen Zeit das Fahrzeug nutzen könnten, so Hauss. Zudem verwies er auf Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Stuttgart und Oldenburg, die eine Verzinsung vor Klageerhebung abgelehnt hätten.
Ganz allein aber stehen das OLG Köln und die Vorinstanz indes nicht: Die Landgerichte Krefeld (Urt. v. 23.01.2019, Az. 2 O 85/18), Stuttgart, Essen und Bochum etwa entschieden sich ebenfalls für diese Lösung. Noch hat der BGH zu deliktsrechtlichen Ansprüchen gegen VW keine Stellung genommen. Erst dann dürfte wohl auch in dieser Sache Klarheit entstehen.
Hinweisbeschluss des OLG Köln: . In: Legal Tribune Online, 13.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35343 (abgerufen am: 03.11.2024 )
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