Ein Jahr nach dem Tod von Walter Lübcke: Mord­pro­zess gegen Ste­phan E. beginnt Mitte Juni

02.06.2020

Ein Jahr nach der Tötung des Kasseler Regierungspräsidenten hat das OLG Frankfurt das Hauptverfahren eröffnet. Der Generalbundesanwalt wirft Stephan E. Mord, dem mitangeklagten Markus H. Beihilfe dazu vor. Sein Geständnis hat Stephan E. widerrufen.

In Kassel gab es am Dienstag wegen der Corona-Beschränkungen nur ein stilles Gedenken, aber keine öffentliche Gedenkveranstaltung. Während mehrere Bundesminister zum Jahrestag des tödlichen Attentats auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zu einem entschiedenen Vorgehen gegen Rechtsextremismus aufriefen, hat der 5. Strafsenat (Staatsschutzsenat) des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main das Hauptverfahren gegen den 46-jährigen Stephen E. und den 44 Jahre alten Markus H. eröffnet und die Anklage des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof zur Hauptverhandlung zugelassen. Beide Männer bleiben in Untersuchungshaft, teilte das Gericht mit. 

Der Angeklagte Stephan E. soll den 65-jährigen CDU-Politiker in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 durch einen Kopfschuss auf der Terrasse seines Hauses getötet haben. Die Motivation zur Tat liege in seiner von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geprägten Einstellung, so der Generalbundesanwalt bei der Anklageerhebung. Der rechtsextreme Hintergrund des Angeklagten ist auch der Grund dafür, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen hatte.

Der Kasseler Regierungspräsident, dessen Name schon Jahre zuvor auf sog. Feindeslisten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gestanden haben soll, war spätestens seit dem Jahr 2015 zum Objekt rechtsradikalen Hasses geworden, u.a. weil er sich für Flüchtlinge einsetzte. Bei einer Bürgerversammlung im Oktober 2015 hatte er über eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Lohfelden informiert. Nachdem Pegida-Anhänger ihn beleidigten und ausgebuht hatten, sagte er "Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen." Ein Video davon verbreitete sich im Internet, ab diesem Tag erhielt der Kommunalpolitiker Hassmails und Morddrohungen aus der rechten Szene. 

Geständnis zwischenzeitlich widerrufen

Der gemeinsam mit Stephan E. angeklagte Markus H. soll Beihilfe zum Mord an Lübcke begangen haben. Laut Anklage wird ihm insbesondere vorgeworfen, Stephan E., mit dem er damals befreundet war, Kenntnisse über Waffen und das Schießen vermittelt zu haben. Außerdem sollen die beiden Angeklagten gemeinsam verschiedene Demonstrationen der rechten Szene besucht haben. H. habe es letztlich für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass er E. durch die so erworbenen Schießkenntnisse und Gesinnung darin bestärken würde, einen Menschen zu töten.

Unklar ist, wie die Angeklagten sich einlassen werden. Deren Freundschaft ist offenbar beendet, Stephan E. hat sein zunächst abgelegtes, nach Medieninformationen sehr detailliertes Geständnis, das Verbrechen allein begangen zu haben, nach einem Verteidigerwechsel widerrufen. Er belastet nun Markus H., dieser soll nach seinen Angaben unmittelbar an der Tötung beteiligt gewesen sein. Die Ermittler sollen sein zwischenzeitlich widerrufenes Geständnis als Ansatz für Folgeermittlungen genutzt haben.  

Die Bundesanwaltschaft wirft Stephan E. ebenfalls vor, im Januar 2016 in Lohfelden einen aus dem Irak stammenden Bewohner einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge niedergestochen zu haben, um ihn zu töten. Auch diese Tat soll er aufgrund seiner fremdenfeindlichen Einstellung begangen haben. 

Prozess beginnt Mitte Juni

Bundesaußenminister Heiko Maas schrieb am Dienstag auf Twitter mit Hinweis auf die Ermordung von Lübcke und den Anschlag von Hanau vor rund 100
Tagen "Rechtsextremismus und Rassismus töten". Hass töte nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande. "Stellen wir uns ihm gemeinsam entgegen", forderte der SPD-Politiker.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte den Sendern NDR Info und Bayern 2, die größte Gefahr in Deutschland gehe von rechts aus. Dafür gebe es mittlerweile ein neues Bewusstsein. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte am Dienstag, die Ermordung Lübckes erfülle ihn auch ein Jahr nach der Tat mit Trauer und Abscheu. "Auch die Erinnerung daran treibt mich an, jeden Tag das Menschenmögliche zu tun, um den Rechtsextremismus und den Rechtsterrorismus in Deutschland mit Nachdruck zu bekämpfen."

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak schrieb auf Twitter mit Verweis auf Lübcke: "Er fiel menschenverachtendem Hass und unerträglicher Hetze um Opfer. Dagegen müssen wir Gesicht zeigen! Wir müssen das Gift bekämpfen, das unsere Gesellschaft zersetzt. Das sind wir uns und ihm schuldig." Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch twitterte,
Gerechtigkeit könne es nur mit vollständiger Aufklärung geben.

Die Hauptverhandlung vor dem OLG Frankfurt wird am 16. Juni beginnen und soll am 18. und 30. Juni fortgesetzt werden.

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Ein Jahr nach dem Tod von Walter Lübcke: . In: Legal Tribune Online, 02.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41777 (abgerufen am: 03.11.2024 )

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