Wer bereits wegen einer Straftat verurteilt wurde, wird wegen dieser Tat nicht mehr ausgeliefert. Dieses Doppelbestrafungsverbot gilt grundsätzlich nur für eigene Staatsangehörige. Das OLG FFM wendet es nun aber auf alle EU-Bürger an.
Das Doppelbestrafungsverbot ist auf jeden EU-Bürger, der in einem EU-Mitgliedstaat verurteilt wurde, anzuwenden. Eine Auslieferung an einen Drittstaat ist dann unzulässig. So entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) in einem am Montag veröffentlichten Beschluss (Beschl. v. 15.5.2020, Az. 2 AuslA 3/20).
Eine Italienerin wurde am Flughafen in Frankfurt am Main festgenommen. Ihr wurde bandenmäßiger Kunstfälschungsbetrug vorgeworfen – unter anderem zulasten von Bürgern in den USA. Daher forderten die USA von den deutschen Behörden die Auslieferung der italienischen Kunstfälscherin. Diese war allerdings in Italien bereits wegen genau des gleichen Vorwurfs zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Nur so werden Ungleichbehandlungen vermieden
Das OLG erklärte aufgrund dieser bereits ergangenen Verurteilung in Italien die Auslieferung für unzulässig. Das Verbot der Doppelbestrafung stünde der Auslieferung entgegen, begründete das Gericht die Entscheidung. Nach diesem Grundsatz findet keine Auslieferung statt, wenn der Verfolgte wegen der Straftat, wegen der er ausgeliefert werden soll, bereits verurteilt wurde. Das gilt aber grundsätzlich nur für inländische Verurteilungen von eigenen Staatsangehörigen, also für Deutsche, die durch deutsche Gerichte verurteilt wurden.
Laut dem OLG sei dieser Grundsatz richtigerweise aber auch auf andere Unionsbürger und Verurteilungen in Mitgliedstaaten auszuweiten. Nur so sei gewährleistet, dass "ein EU-Bürger in jedem anderen EU-Staat einen seinem Heimatstaat vergleichbaren Schutz vor Auslieferungsgesuchen habe und sich folglich frei innerhalb der EU bewegen könne." Würde ein Unionsbürger bei Festnahme im eigenen Staat nicht ausgeliefert, in einem anderen Mitgliedstaat aber doch, würde das zu einer unzulässigen Ungleichbehandlung führen.
Auf den vorliegenden Fall übertragen heißt das: Wäre die Italienerin in Italien festgenommen worden, wäre sie nicht ausgeliefert worden wegen der bereits ergangenen Verurteilung in derselben Sache. Deshalb muss das gleiche gelten, wenn sie in Deutschland festgenommen wird.
Auf Linie mit dem EuGH: Übertragung des Nationenprivilegs auf EU-Bürger
Mit dieser Entscheidung hat das OLG erstmals das Doppelbestrafungsverbot auch auf andere Unionsbürger erstreckt. Es hat also die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) für Verfolgungsfälle entwickelten Grundsätze ("Petruhhi", Urt. v. 6.9.2016, Az. C-182/15 und "Piscotti", Urt. 10.4.2018, Az. C-191/16) auf Vollstreckungsfälle übertragen. Damit wird das sogenannte Nationenprivileg, nicht in Drittländer außerhalb der EU ausgeliefert zu werden, auch auf andere EU-Bürger übertragen.
ast/LTO-Redaktion
OLG FFM bekräftigt gemeinsames europäisches Strafrecht: . In: Legal Tribune Online, 08.06.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41834 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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