Zehn Jahre hatte eine Familie aus dem brandenburgischen Rangsdorf mit der Angst gelebt, wegen eines Fehlers des Amtsgerichts ihr Eigenheim zu verlieren. Nun ist mit dem Urteil des Oberlandesgerichts der Albtraum wahr geworden.
In der Urteilsbegründung lässt der Vorsitzende Richter zwar erkennen, dass seinem 5. Zivilsenat bewusst sei, welch schwerwiegende Folgen das Urteil für eine Familie habe. Doch die Rechte des Eigentümers wögen vor dem Gesetz schwerer, stellt Richter Christian Odenbreit vom Brandenburger Oberlandesgericht (OLG) am Donnerstag klar. Daher muss die Familie nun ohne eigenes Verschulden ihr Eigenheim und das Grundstück innerhalb eines Jahres räumen und das Haus auf eigene Kosten abreißen lassen (Urt. v. 29.06.2023, Az. 5 U 81/20).
Die Familie hatte das etwa 1.000 Quadratmeter große Grundstück 2010 bei der Zwangsversteigerung im Amtsgericht Luckenwalde regulär erworben. Das Bauland wurde versteigert, weil der Erbe des Grundstücks Schulden bei der Stadt Freiburg hatte und angeblich nicht erreichbar war. Nachdem die Familie den hohen Kredit aufgenommen, dort ihr Haus gebaut hatte und 2012 mit zwei kleinen Kindern eingezogen war, meldete sich der Erbe ein Jahr später und forderte das Grundstück vor Gericht zurück.
Das Landgericht Potsdam entschied daraufhin im Jahr 2014, dass das Amtsgericht versäumt habe, nach dem Erben in ausreichendem Maße zu suchen. Denn nach § 1964 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) trifft das Nachlassgericht die Pflicht, etwaige Erben ausfindig zu machen. Der sachliche und zeitliche Umfang der Ermittlungen steht dabei im pflichtgemäßen Ermessen des Nachlassgerichts, die Werthaltigkeit des Nachlasses kann eine Rolle spielen. Bei wertvollem Nachlass sind umfangreichere Ermittlungen geboten.
Da diese nicht ausreichend erfolgt seien, sei die Zwangsversteigerung nicht rechtens und der Erbe weiterhin Eigentümer des Grundstücks seiner verstorbenen Tante, so das Landgericht Potsdam. Das OLG hat dies nun bestätigt.
OLG: Nicht nur Räumung des Grundstücks, sondern auch Abriss des Hauses
Dem Urteil zufolge muss die Familie außerdem dem Eigentümer, einem in der Schweiz lebenden US-Bürger, für die Nutzung des Grundstücks eine Entschädigung in Höhe von gut 6000 Euro zahlen. Und da ist noch die Grundschuld in Höhe von 280 000 Euro plus Zinsen für die Baukosten, die die Familie schnell tilgen muss. Denn: "Im Ergebnis hat die Familie das Grundstück so zu übergeben, wie es vor dem Zuschlag bei der Versteigerung war", sagt Richter Odenbreit. Eine Revision ist nicht zugelassen.
Die Familie hofft nun, dass das Land wegen des Behördenfehlers den Schaden ersetzt. "Wir warten auf ein Gesprächsangebot des Landes", sagte Vater Philipp Walter, der wie seine Frau nicht zu der Urteilsverkündung erschienen war, am Donnerstag auf dpa-Anfrage. Weiter wollte er sich nicht äußern.
Das Justizministerium reagierte prompt: Es sei eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die das Urteil umfassend analysieren werde, teilte das Ministerium nach dem Urteil mit. Ziel sei, Amtshaftungsansprüche wegen des Behördenfehlers außergerichtlich zu klären. Das Land stehe
in der Verantwortung, die durch den Fehler bei Gericht verursachten materiellen Schäden zu ersetzen, sagte Justizministerin Susanne Hoffmann. Dabei gehe es um einen möglichen finanziellen Ausgleich, aber auch um weitere Optionen. "Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit der Familie eine sachgerechte Lösung finden werden, durch die weiteres Leid vermieden wird", sagte Hoffmann.
Das OLG ging noch einen entscheidenden Schritt weiter: Das Landgericht habe die vom Eigentümer geforderte Räumung des Grundstücks und den Abriss des Hauses abgelehnt, weil sich die Familie auf Treu und Glauben berufen könne, erläuterte Odenbreit. Doch auch hier wog für den Zivilsenat des OLG das Eigentumsrecht schwerer. Bliebe die Familie dort wohnen, könne der Eigentümer das Grundstück nicht nutzen und es bliebe "wirtschaftlich eine leere Hülle", sagte Odenbreit.
Auch das Haus sei dem Eigentümer nicht zuzumuten, sagte der Vorsitzende Richter. Da der Erbe es nicht wolle, müsse er es auch nicht bezahlen oder für den Abriss aufkommen. Und mit der Räumungsfrist von einem Jahr sei das Gericht der Familie entgegengekommen, so Odenbreit. Die gravierenden finanziellen Folgen könnten durch das Land Brandenburg abgemildert werden.
dpa/pab/LTO-Redaktion
Wegen unrechtmäßiger Zwangsversteigerung: . In: Legal Tribune Online, 29.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52115 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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