US-Gericht zu NSA-Telefonüberwachung: Wahrscheinlich verfassungswidrig

17.12.2013

Überwachung "fast orwellschen Ausmaßes", Schöpfer der amerikanischen Verfassung wären "bestürzt": In einer vielbeachteten Entscheidung hat ein amerikanisches Bundesgericht das systematische Sammeln von Metadaten über die Telefongespräche amerikanischer Bürger durch die NSA harsch kritisiert. Die Regierung kann nun Berufung einlegen.

Die Entscheidung des Bundesgerichts für den Distrikt Columbia ist die erste, welche das systematische, technisierte Sammeln und Auswerten von Daten über Telefongespräche amerikanischer Bürger als verfassungswidrig einstuft. Richter Richard J. Leon hielt die Kläger, zwei Privatleute, für klagebefugt. Die US-amerikanische Regierung habe infolge der von Edward Snowden veröffentlichten Dokumente eingeräumt, dass der Auslandsgeheimdienst NSA eine Datenbank mit Informationen über die Metadaten der Telefonate amerikanischer Bürger unterhalte. Es sei hochgradig wahrscheinlich, dass die Metadaten der Telefonate der Kläger, ebenso wie jene aller anderen Bürger, in dieser Datenbank erfasst seien.

Ob die Speicherung tatsächlich gegen den vierten Zusatz der amerikanischen Verfassung, den Schutz vor unverhältnismäßigen Durchsuchungen und Beschlagnahmen, verstößt, musste das Gericht nicht endgültig entscheiden. "Bisher ist nur eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz ergangen", erklärt Prof. Andrew Hammel vom Lehrstuhl für anglo-amerikanisches Recht an der Universität Düsseldorf. "Dort reicht es, ähnlich wie im deutschen Recht, aus, dass eine Verletzung des Klägers in seinen Rechten als wahrscheinlich erscheint und ihm weiterer, nicht wiedergutzumachender Schaden droht. Die Entscheidung ist allerdings sehr deutlich formuliert, sodass der Richter sicherlich auch in der Hauptsache zugunsten der Kläger entscheiden würde."

Ausführliche und gut begründete Entscheidung

Die einstweilige Verfügung des Gerichts ordnet an, dass die bereits gesammelten Telefondaten der beiden Kläger gelöscht werden müssen und ihre Daten auch in Zukunft nicht weiter gesammelt werden dürfen. "Im Lichte der erheblichen nationalen Sicherheitsinteressen, die in diesem Fall auf dem Spiel stehen, und der Neuheit der verfassungsrechtlichen Fragestellungen", gewährte es der Regierung jedoch eine Frist von sechs Monaten, während derer sie die Verfügung nicht vollziehen muss und sich auf eine – mit Sicherheit zu erwartende – Berufung vorbereiten kann.

Einer solchen räumt Hammel keine schlechten Chancen ein: "Die Entscheidung ist zwar sehr ausführlich und gut begründet. Die Berufung wird aber vor dem Berufungsgericht für den Distrikt Columbia verhandelt werden. Dieses entscheidet viele Verfahren von großer Tragweite, weil dort die Bundesregierungsbehörden ihren Sitz haben. Vier von fünf der jetzigen Richter am US Supreme Court waren vorher am Berufungsgericht für Columbia tätig, und das Gericht ist traditionell mit eher konservativen Denkern besetzt."

Eine Aufhebung der Entscheidung könnte vor allem mit Verweis auf das Urteil des Supreme Courts im Fall Smith v. Maryland erfolgen. In jenem Verfahren aus dem Jahr 1979 hatte der US Supreme Court entschieden, dass Anrufer die Nummer ihrer Gesprächspartner wissentlich und willentlich an die Telefongesellschaft leiten würden. Es könne daher keine schützenswerte Erwartung bestehen, dass die Nummer privat bleibe. Richter Leon hat nun geurteilt, dass diese jahrzehntealte Entscheidung nicht auf den aktuellen Sachverhalt übertragbar sei. Damals sei es lediglich um den behördlichen Zugriff auf bei der Telefongesellschaft gespeicherte Daten im Einzelfall gegangen. Dies lasse sich nicht vergleichen mit der massenhaften, systematischen Speicherung und Auswertung sämtlicher Telefon-Metadaten der Bürger des gesamten Landes, die "fast orwellsche" Ausmaße erreicht habe.

Das letzte Wort könnte der Supreme Court sprechen

So oder so: Eine letztendliche, Klärung wäre erst vor dem Supreme Court zu erreichen. Ob der zu der Sache jemals entscheiden wird, ist aber ungewiss. "Der Supreme Court muss nicht jedes Verfahren annehmen", sagt Hammel. "Es hat in Folge der Snowden-Enthüllungen aber bereits einige Klagen gegeben, in denen die Überwachung in erster Instanz als rechtmäßig gewertet wurde. Wenn auch dort Berufung eingelegt wird, und die Berufungsgerichte keine gemeinsame Linie finden, dann muss der Supreme Court handeln, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu sichern."

Leon jedenfalls hat in seiner 68-seitigen Entscheidung deutliche Worte gefunden: So spricht er davon, dass James Madison, der Schöpfer der amerikanischen Bill of Rights, über die Datensammlung "bestürzt" sein würde. Zudem gebe es "ernste Zweifel an der Wirksamkeit" der Überwachungsmaßnahmen, da die Regierung "nicht einen einzigen Fall" genannt habe, in dem "die Analyse der von der NSA gesammelten Metadaten tatsächlich einen bevorstehenden Angriff gestoppt oder der Regierung sonst wie beim Erreichen eines zeitkritischen Ziels geholfen hätte".

cvl/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

US-Gericht zu NSA-Telefonüberwachung: . In: Legal Tribune Online, 17.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10389 (abgerufen am: 14.11.2024 )

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