Was folgt aus Trumps Wahlsieg?: Demo­k­ra­tie­däm­me­rung

Gastbeitrag von Prof. Dr. Franz C. Mayer, LL.M. (Yale)

06.11.2024

Mit der erneuten Wahl Trumps geht die USA auch verfassungsrechtlich ins Risiko. Was dem Supreme Court droht und warum auf der Justiz dennoch Hoffnung liegen könnte, ordnet aus New York Franz C. Mayer ein.

Was für ein schlimmer Tag für die Demokratie. Nicht nur in den USA, sondern überall auf der Welt. Warum ein solcher Befund am Ende einer Wahl, die soweit derzeit ersichtlich nicht mit offenkundigen Manipulationen verbunden war?

Da sind zunächst einmal die verheerenden Folgen in den USA und weit über die USA hinaus, die der Ausgang dieser Wahl sehr wahrscheinlich haben wird: Für Menschen in der Ukraine, im Nahostkonflikt, für den Kampf gegen den Klimawandel, im Ringen um eine regelbasierte internationale Ordnung. Für die USA hat Trump sehr konkrete Ankündigungen gemacht. Diese reichen von Deportationen von Migranten; Abrechnung mit politischen Gegnern; Zöllen mit absehbaren ökonomischen Folgen (Preissteigerungen) gerade für diejenigen, die mutmaßlich aus nachvollziehbarer eigener ökonomischer Not heraus gegen alle Warnungen Trump gewählt haben; bis zur Gesundheitspolitik in Händen des dokumentierten Impfleugners Robert F. Kennedy.  

Trumps Politikverständnis als Unternehmer: An der Macht solange Erfolg

Man mag dies als inhaltliche Politikpräferenzen und Stilfragen abtun und darauf pochen, dass ein demokratischer Prozess in einer fairen und freien Wahl ein bestimmtes Ergebnis erbracht hat, dass dann auch zu respektieren ist.  

Es ist indessen eine der fundamentalen Demokratieparadoxien, dass im demokratischen Wettstreit grundsätzlich auch diejenigen antreten dürfen, die die Demokratie abschaffen oder verbiegen wollen. So wie hier: Wenn nicht unvorhergesehene Dinge passieren, dann wird mit Donald Trump ein Politiker das Präsidentenamt übernehmen, der wiederholt demonstriert hat, dass er die unabdingbare Grundannahme einer modernen Demokratie für sich nicht anerkennt: Demokratie ist begrenzte Herrschaft auf Zeit und nach dieser Zeit wieder abzugeben.  

Möglicherweise geht dieser Zug auf seine Sozialisierung in der Welt der Unternehmen zurück. Dort steht die Idee einer Herrschaft nur auf Zeit überhaupt nicht im Vordergrund. An den Schalthebeln der Macht bleibt man in jener Welt, so lange man Erfolg hat. Also potentiell unbegrenzt. Nicht zuletzt dies macht das Engagement des Unternehmers Elon Musk für Trump so gefährlich. Ganz abgesehen davon haben die Milliardäre Trump und Musk die durch Supreme Court-Entscheidungen wie der zur Wahlkampffinanzierung "Citizens United" eröffneten ökonomischen Spielräume des Systems genutzt, um mit hohem Geldeinsatz politische Macht schlicht zu kaufen.  

Trumps Erfolg als Warnsignal für liberale Demokratien weltweit

Diese Wahl hinterlässt ein zutiefst gespaltenes Land. Kamala Harris hätte es wohl unternommen, dieser Spaltung entgegenzuwirken. Es sind jetzt zwar Lippenbekenntnisse von den Wahlsiegern zum Versöhnen des Landes zu hören, aber Trump wird sich mit seinen 78 Jahren nicht mehr ändern: Er steht für Demokratieverachtung; systematisches Leugnen der Möglichkeit einer Wahlniederlage; Ausspielen und Aufhetzen von Gruppen gegeneinander; Herabsetzen von Minderheiten; Schüren von Hass und Ablehnung gegenüber "den Eliten", den Medien, der Wissenschaft; hemmungslose Selbstbereicherung; Lüge als Standardstrategie; ein hochpersonalisiertes, sektenartiges Politikverständnis; eine eigenartige Bewunderung von autoritären Machthabern wie Putin; rassistisches und sexistisches beleidigendes Diskreditieren der politischen Mitbewerber, die als Feinde (siehe Carl Schmitt), die in letzter Konsequenz physisch zu vernichten sind, gezeichnet werden. Viele von denen, die mit Trump zusammengearbeitet haben, nicht zuletzt aus dem Militär, haben daher vor Trump gewarnt. Die Ablehnung von Trump reichte darüber hinaus von den echten Konservativen (Liz Cheney) bis zu den Ikonen der Popkultur (Taylor Swift, Beyoncé).  

Dass man gleichwohl mit Trumps Strategien an die Macht gelangen kann, wird Nachahmer anderswo finden, auch in Europa. Dabei muss man klar sehen, dass Trump von vielen nicht trotz seiner Defizite gewählt worden ist, sondern gerade deswegen. Die Attraktion des "starken Mannes", der sich von politischen Korrektheiten und demokratischen Gepflogenheiten nicht aufhalten lässt, sondern eine ichbezogene Hemmungslosigkeit und Brutalität vor- und auslebt, gefällt offenbar doch einer kritischen Masse an Wählern. Das ist die eigentliche Gefahr für die Demokratie. Insofern ist das Politikermodell Trump in den Zusammenhang der weltweiten Systemkonkurrenz zwischen liberaler Demokratie und autoritären bis diktatorischen Regimen zu stellen. Am Ende zählt dann wohl doch für viele zuerst, ob die "grocery bill", die Lebenshaltungskosten, erträglich bleiben und das persönliche Alltagsleben behaglich genug ist. Wenn die liberale Demokratie das – gefühlt – nicht mehr sicherstellt, dann probiert man eben etwas anderes aus. Diese Haltung hat auch in Deutschland bereits mindestens ein parteipolitisches Standbein.

Folgen für Europa

Gravierende sicherheitspolitische Folgen für Europa, Nutzen für Putin und Gefahren für das NATO-Bündnis mit dem Verlust einer transatlantischen, auch emotional grundierten Verbundenheit haben schon die erste Trump-Präsidentschaft geprägt. Vielleicht wird als Nebeneffekt einer erneuten Trump-Präsidentschaft Europa in der EU enger zusammenrücken müssen.  

Die Wiederwahl Trumps ist aber jedenfalls Anlass für eine weitere Ebene der Selbstvergewisserung in Europa: Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit – das muss noch mehr als bisher die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie anleiten. Wäre Trump nach dem 6. Januar 2020 ebenso konsequent belangt worden wie Bolsonaro in vergleichbarer Konstellation in Brasilien, dann wären die Dinge anders verlaufen. Wer die Grundregeln des demokratischen Wettbewerbs für sich nicht gelten lassen will, darf nicht an die Macht kommen und auch nicht mehr am demokratischen Wettstreit teilnehmen. Dass sollten wir gerade in Deutschland aus unserer eigenen historischen Erfahrung am besten wissen. Ein Politikstil wie ihn Trump praktiziert zerstört die Grundlagen demokratischer Kultur und das für den demokratischen Prozess unabdingbare Grundvertrauen in Institutionen.

Amerika und Trump 2.0

Anders als Trump 2020 werden die Democrats das Wahlergebnis 2024 wohl anerkennen. Vielleicht wird es noch das ein oder andere Gerichtsverfahren um einzelne Vorgänge bei der Stimmabgabe und Nichtberücksichtigung von Stimmen geben, aber die Machtübergabe im Januar 2025 an Trump wird sich nicht aufhalten lassen.  

Und dann wird es dunkel werden. Selbst wenn man Trumps Ausspruch, dass er für einen ersten Tag Diktator sein möchte, nicht recht ernst nehmen mag, so ist doch einiges absehbar. Die inhaltliche Blaupause ist im "Projekt 2025" für jeden nachzulesen. In Polen war zu besichtigen, wie eine autoritäre Partei bei der erneuten Machtübernahme die Lehren aus ihrem ersten Scheitern gezogen hat und sehr viel besser vorbereitet auf den dauerhaften Machterhalt ausgerichtet Pläne in der Schublade hat. Das droht nun auch in den USA. Den Machtapparat der Exekutive will Trump in selbst in den USA neuartigem Ausmaß mit Gefolgsleuten besetzen. Auch hier sind Vorbereitungen getroffen, Personal ist bereits rekrutiert. Massendeportationen mit bewaffneter Gewalt sind angekündigt. Die aufständischen Gewalttäter vom 6. Januar sollen begnadigt werden. Es wird wieder eine Anbiederung und Kollusion mit den autoritären Machthabern und Diktatoren von Putin bis Kim Jong Un geben.  

Was an Kontrolle bleibt: Kongress und Justiz

Es bleibt die Hoffnung auf demokratische Beharrungskräfte in den USA als einer Demokratie, die seit mehr als 230 Jahren Bestand hat. Im föderalen Gefüge bleibt die Macht des Bundes und damit auch des US-Präsidenten begrenzt. Große Einzelstaaten wie New York oder Kalifornien werden offene und lebenswerte Orte bleiben. Die gewaltengeteilte Demokratie scheint zwar ausgehebelt, mit einem gefügigen US Supreme Court und trumphörigen Parlamentsmehrheiten. Letztere dürften sich indessen schon bei den nächsten Midterm Wahlen wieder verflüchtigen, wenn sich die absehbare Einsicht einstellt, dass Trump eben doch kein ökonomischer Wunderheiler ist und sich das zu erwartende Chaos der zweiten Trump-Amtszeit eingestellt hat und gerade die ökonomisch Bedürftigen sich enttäuscht abwenden. Sobald der Kongress nicht mehr unter Trump-Kontrolle ist, kann über die Budgetschraube auch der machtvolle US-Präsident eingebremst werden.

Der US Supreme Court ist bereits politisch gekapert. Dies wird sich im Lauf der zweiten Trump-Präsidentschaft eher weiter stabilisieren, wenn Trump im Verlauf der vier Jahre weitere konservative Richter in das Gericht schicken kann.

Die Rechtskontrolle der Exekutive läuft aber in den USA zunächst über die Instanzgerichte, und diese können auf Klagen von Betroffenen Übergriffen der Regierung Grenzen setzen. Diese kann der US Supreme Court zwar wieder einreißen, aber es muss eben erst durch die Instanzen gehen. Und die Instanzgerichte haben sich bereits 2020 in beeindruckender Weise auf breiter Front gegen Trumps Versuche, die Demokratie auszuhebeln, zur Wehr gesetzt. Offen ist übrigens, wie es mit den vielen Gerichtsverfahren weitergeht, denen Trump ausgesetzt ist. Was nicht vor Bundesgerichten anhängig ist, kann Trump nicht so einfach ausschalten. Das hat auch mit den im US-System voneinander unabhängigen Gerichtszweigen (state courts und federal courts) und ihren jeweils eigenen Instanzenzügen zu tun.

Soweit die optimistische Deutung. Aber die USA bewegen sich mit der Wahl eines unkalkulierbaren Impulsen folgenden Präsidenten, der seine autoritäre Agenda offen zur Wahl gestellt und damit – knappe – Mehrheiten gewonnen hat, auf unkartographiertem Verfassungsgelände.  

Zu hoffen bleibt, dass keine irreparablen Schäden entstehen, in den USA, und im Rest der Welt, sowie am Leitbild der liberalen Demokratie.  

Wiedervorlage spätestens 2029.

Prof. Dr. Franz C. Mayer ist Professor und Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht, Rechtsvergleichung und Rechtspolitik an der Universität Bielefeld. Er hält sich gegenwärtig zu einem Forschungsaufenthalt an der Columbia Law School in New York auf und hat die letzten Wochen des Präsidentschaftswahlkampfs vor Ort beobachtet.

Zitiervorschlag

Was folgt aus Trumps Wahlsieg?: . In: Legal Tribune Online, 06.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55801 (abgerufen am: 07.11.2024 )

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