Nicaragua wirft Deutschland Verstöße gegen die Völkermordkonvention vor. Durch Waffenlieferungen an Israel und die Streichung der Hilfsmittel begünstige es einen Genozid im Gazastreifen. Nun muss der Internationale Gerichtshof entscheiden.
Nicaragua hat Deutschland vor dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen "Begünstigung eines Völkermordes" durch Israel im Gazastreifen vorgeworfen. Nicaragua begründete seinen Schritt damit, Deutschland habe Israel politisch, finanziell und militärisch unterstützt sowie die Mittel für das UN-Palästinenserhilfswerk (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees (UNRWA) gestrichen. Das teilte der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag am Freitagabend mit.
Seit Oktober 2023 bestehe "die anerkannte Gefahr eines Völkermordes am palästinensischen Volk, die sich in erster Linie gegen die Bevölkerung des Gazastreifens richtet", heißt es in der Klage. Nach der Völkermordkonvention sind Staaten verpflichtet, alles zu tun, um Völkermord zu verhindern. Deutschland jedoch habe nicht nur gegen diese Verpflichtung verstoßen, sondern auch die Begehung eines Völkermordes durch Israel erleichtert, so der Vorwurf aus Nicaragua.
Außerdem habe Deutschland andere zwingende Normen des Völkerrechts verletzt. Es habe dabei geholfen, die "rechtswidrige Situation der fortgesetzten militärischen Besatzung Palästinas" aufrechtzuerhalten und das "rechtswidrige Apartheidregime und die Negierung des Selbstbestimmungsrechts des palästinensischen Volkes" nicht verhindert.
Gleichzeitig mit der Klage strengte Nicaragua ein Eilverfahren an. Der IGH solle Deutschland unter anderem auffordern, seine – insbesondere militärische – Unterstützung für Israel unverzüglich auszusetzen, soweit diese Unterstützung zur Verletzung der Völkermordkonvention und anderer zwingender Regeln des Völkerrechts genutzt werden könne. Ein weiterer Antrag betrifft die Waffenlieferungen: Deutschland müsse unverzüglich alle Anstrengungen unternehmen, um sicherzustellen, dass die bereits an Israel gelieferten Waffen nicht "zur Begehung von Völkermord" eingesetzt werden, so die Forderung aus Nicaragua. Außerdem solle Deutschland die finanzielle Unterstützung für das UNRWA wieder aufnehmen.
Warum Nicaragua?
Die Regierung Nicaraguas setzt sich besonders für die Rechte der Menschen in Palästina ein, was auch auf historische Gründe zurückzuführen ist. Die sandinistische Befreiungsfront (FSLN) und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) pflegten schon früh enge Beziehungen zueinander. Während ihres Kampfes gegen den damaligen Diktator Anastasio Somoza erhielt die FSLN Unterstützung aus Palästina. Nach dem Besuch von Yasir Arafat in Nicaragua im Jahr 1980 eröffnete die PLO dort ihre erste diplomatische Vertretung in Mittelamerika.
Wieso der IGH zuständig ist
Sowohl Deutschland als auch Nicaragua haben die Gerichtsbarkeit des IGH nach Art. 36 Abs. 2 IGH-Statut anerkannt.
Zudem stützt Nicaragua die Zuständigkeit des IGH auf Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 IGH-Statut in Verbindung mit Art. IX der Völkermordkonvention. Danach ist der IGH für Streitigkeiten über die Auslegung, Anwendung und Erfüllung der Völkermordkonvention zwischen Vertragsstaaten – sowohl Deutschland als auch Nicaragua zählen dazu – zuständig. Nicaragua habe Deutschland Anfang Februar aufgefordert, die Waffenlieferungen an Israel unverzüglich einzustellen: Diese könnten dazu verwendet werden, um einen Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung zu begehen.
Ob Israel tatsächlich einen Völkermord im Gazastreifen begeht, ist gerade Gegenstand eines weiteren Verfahrens vor dem IGH. Südafrika, wie Nicaragua ein starker Verfechter der Rechte der Palästinenser, hatte Ende Dezember Israel aus diesem Grund verklagt. Ende Januar hatte der IGH Israel in einer Eilentscheidung zu Sofortmaßnahmen verpflichtet, um einen Völkermord in Gaza zu verhindern. Das Verfahren in der Hauptsache wird aber noch andauern.
Wie es weitergeht
In dem Eilverfahren gegen Deutschland ist mit einer schnellen Entscheidung zu rechnen: Nach Art. 74 der IGH-Gerichtsordnung hat ein Antrag auf Erlass vorläufiger Maßnahmen Vorrang vor allen anderen Fällen.
Deutschland war bislang nur zweimal als beklagte Partei vor dem IGH: einmal im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg; das zweite Verfahren betraf den Umgang mit liechtensteinischem Staatsvermögen, das nach dem Zweiten Weltkrieg zu Reparationszwecken beschlagnahmt worden sei, ohne eine Entschädigung zu gewährleisten. Der IGH lehnte jedoch im Jahr 2005 seine Zuständigkeit für das Verfahren ab.
fkr/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
Unterstützung für Israel im Gaza-Krieg?: . In: Legal Tribune Online, 02.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54018 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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