Weil er die Stellenvergabe am Landesrechnungshof und Landesverfassungsgericht kritisiert hatte, wurde der Fraktionschef der Piraten in Schleswig-Holstein vom Parlamentspräsidenten zur Ordnung gerufen. Zu Unrecht, entschied nun das LVerfG.
Es zählt zu den Rechten von Abgeordneten, sich zum Abstimmungsverhalten bei einzelnen Punkten der Tagesordnung zu äußern. Dies gilt auch dann, wenn zu dem Tagesordnungspunkt keine Aussprache vorgesehen ist. Ergeht in einem solchen Fall ein Ordnungsruf gegen den Abgeordneten, verletzt ihn dieser in seinem Rederecht aus Art. 17 Abs. 1 der Landesverfassung, entschied das Landesverfassungsgericht (LVerfG) in Schleswig-Holstein am Mittwoch (Urt. v. 17.05.2017, Az. LVerfG 1/17).
Ausgangspunkt des Verfahrens war die Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 14. Dezember 2016. Auf dieser wurde u.a. über die Ernennung eines neuen Vizepräsidenten des schleswig-holsteinischen Rechnungshofes abgestimmt, wobei der Kandidat Bernt Wollesen von der Landesregierung vorgeschlagen worden war. Vor der Abstimmung meldete sich der Vorsitzende der Piratenfraktion in Schleswig-Holstein, Patrick Breyer, zu Wort, um zu erläutern, warum seine Fraktion gegen den Vorschlag stimmen werde. Der Parlamentspräsident, der den Inhalt von Breyers Wortmeldung auf Grundlage einer zuvor von diesem versandten Pressemitteilung bereits antizipierte, regte daraufhin an, Breyer möge sich doch überlegen, ob er "diese persönliche Erklärung […] tatsächlich wiederholen" oder ob er die Gelegenheit nicht lieber nutzen wolle, um sich "in förmlicher Weise dafür zu entschuldigen, was in dieser Pressemitteilung steht."
Breyer: SPD und CDU hatten "Personalpaket geschnürt"
Er wollte nicht. Stattdessen wiederholte Breyer seine zuvor in der Pressemitteilung formulierte Kritik, dass wichtige Posten wie die Vizepräsidentenstelle am Landesrechnungshof nicht öffentlich ausgeschrieben würden, sondern die Vergabe vielmehr nach Parteienproporz ausgehandelt und das Abstimmungsverhalten entsprechend abgestimmt werde. Nach einem Bericht der Kieler Nachrichten hätten die Vorsitzenden von SPD und CDU ein "Personalpaket geschnürt", das unter anderem die Vergabe einer Abteilungsleiter- und der Vizepräsidentenstelle am Landesrechnungshof sowie der Präsidentenstelle am Landesverfassungsgericht umfasst. Weiterhin sagte Breyer: "Wir wollen nicht sagen, dass Herr Wollesen für dieses Amt ungeeignet wäre. Wohl aber stellen wir infrage, dass hier die fachlich beste Person ohne Rücksicht auf Parteienproporz ausgewählt worden ist."
In der Folge wurde Breyer vom Parlamentspräsidenten zur Ordnung gerufen, weil eine Aussprache zu dem Tagesordnungspunkt nicht vorgesehen gewesen sei, und sich Breyers Redebeitrag auch nicht nur auf das Abstimmungsverhalten seiner Fraktion bezogen habe, sondern ebenso auf die Person von Herrn Wollesen.
LVerfG: Keine gleichrangigen Rechtsgüter tangiert
Dies hat das LVerfG nun mit einer Mehrheit von 6 : 1 Stimmen für rechtswidrig erklärt. Der Ordnungsruf habe sich (jedenfalls auch) auf den Inhalt von Breyers Rede bezogen und sei deshalb nur dann zulässig, wenn durch diese Rede eine Verletzung oder Gefährdung von Rechtsgütern im Raum stünde, die dem Rederecht des Abgeordneten gleichrangig seien. Dies sei hier aber nicht erkennbar.
Auch in der Geschäftsordnung des Landtages, die die Rechte der Fraktionen und Abgeordneten untereinander in Ausgleich bringen solle, finde sich keine Bestimmung, derzufolge Breyers Beitrag unzulässig gewesen sein könnte. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass Breyer der Tagesordnung, die keine Aussprache zu dem streitigen Tagesordnungspunkt vorsah, zugestimmt hatte. Denn eine Erklärung zum eigenen Abstimmungsverhalten bzw zum Abstimmungsverhalten der eigenen Fraktion sei nach § 64 Abs. 2. S. 1, 2 der Geschäftsordnung unabhängig von einer etwaigen Aussprache möglich. Eine Abänderung oder Einschränkung dieses Rechts sei wiederum nur unter bestimmten – hier nicht gegebenen – Voraussetzungen. Sie bedürfe zudem eines Beschlusses des Landtages und könne nicht durch reines Gewohnheitsrecht erfolgen.
Sondervortum: Äußerung gewohnheitsrechtlich unzulässig
In einem Sondervotum distanzierte sich der Vizepräsident des LVerfG von der Entscheidung. Nach seiner Auffassung ist Breyers Klage bereits unzulässig, weil der Ordnungsruf erst nach Breyers Rede erfolgt sei und dessen Rederecht daher nicht habe verletzen können. Auch sei der Ordnungsruf der Sache nach berechtigt, da es eine – ungeschriebene – parlamentarische Übung gäbe, sich bei Wahlen in politische Ämter nicht zur Person des Vorgeschlagenen zu äußern.
"Dieses Urteil ist ein Sieg für die Unabhängigkeit der höchsten Kontrollorgane in unserem Land", begrüßt Breyer die Entscheidung. "Spitzenjobs an Landesrechnungshof und Landesverfassungsgericht dürfen keine aufzuteilende Beute der Parteien sein, denn sie sollen Regierung und Parlament gerade kontrollieren."
Constantin Baron van Lijnden, LVerfG SSH zu Rederecht von Abgeordneten: . In: Legal Tribune Online, 17.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22960 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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