Ein Mann drängelte auf der Autobahn und verursachte eine Kollision. Der andere Fahrer wurde schwer verletzt, sein Beifahrer verstarb. Das LG Osnabrück orientierte sich an der BGH-Rechtsprechung und verneinte einen Tötungsvorsatz.
Die 6. Große Strafkammer des Landgerichts (LG) Osnabrück hat ihr Urteil in einem Verfahren wegen der Tötung eines 32 Jahre alten Mannes durch Kollision auf der A33 gesprochen (Urt. v. 14.06.2024, Az.6 Ks 4/24). Der Angeklagte ist u. a. wegen fahrlässiger Tötung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verurteilung wegen Mordes gefordert.
Das Schwurgericht war davon überzeugt, dass der 30 Jahre alte Angeklagte am frühen Morgen des 30. Oktober 2023 auf der A33 den Fahrer eines VW Phaeton mehrfach durch Auffahren und Abbremsen bedrängt hat. Als sich beide Fahrzeuge ungefähr auf gleicher Höhe befanden, lenkte der Angeklagte sein Fahrzeug ruckartig nach rechts in Richtung des anderen Fahrzeuges, abermals um dessen Fahrer zu bedrängen und zu schikanieren.
So kam es nach Auffassung des Gerichts zur Kollision mit dem VW Phaeton, welcher schließlich die Außenleitplanke durchbrach, sich überschlug und in einer Entfernung von 100 Metern zum Kollisionsort liegen blieb. Der Fahrer des VW Phaeton wurde hierbei so schwer verletzt, dass er noch heute arbeitsunfähig ist. Der Beifahrer verstarb noch am Unfallort.
Vorsatz oder Fahrlässigkeit?
Im Zentrum der Entscheidung stand die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Diese Problematik ist ein Klassiker im Jurastudium, doch der Fall des LG Osnabrück zeigt, was für eine praktische Bedeutung diese Abgrenzung hat. Weil das Gericht von einer fahrlässigen Tötung ausging, galt der Strafrahmen des § 222 Strafgesetzbuch (StGB), nämlich Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Bei Vorsatz hätte eine Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren (§ 212 Abs. 1 StGB) oder eventuell gar lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes (§ 211 StGB) gedroht.
Zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit liegt ein schmaler Grat. Nach der gängigen Definition setzt der Tötungsvorsatz voraus, dass man den Eintritt des Todes für möglich hält (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Wollenselement). An dieser Grenze liegt die sogenannte bewusste Fahrlässigkeit, bei der man den Eintritt des Erfolgs (etwa des Todes) zwar für möglich hält, dabei aber darauf vertraut, dass er nicht eintreten werde.
Begründung des Gerichts deckt sich mit BGH-Rechtsprechung
Das Gericht argumentierte, dass das Verhalten des Angeklagten zwar sehr gefährlich gewesen sei und er deswegen mit "Gefährdungsvorsatz" gehandelt habe; der Angeklagte habe aber keinen Tötungsvorsatz, ja noch nicht einmal einen Körperverletzungs- und Sachbeschädigungsvorsatz gehabt. Dabei stellte die Kammer vor allem darauf ab, dass der Angeklagte auch die Verletzung seiner eigenen Person und die Beschädigung des von ihm geführten Autos nicht billigend in Kauf genommen habe.
Dieses Argument deckt sich mit den Vorgaben des Bundesgerichtshofs (BGH) im berümt-berüchtigten "Berliner Raser-Fall" (BGH, Urt. v. 01.03.2018, Az. 4 StR 399/17), den der Strafrechtler Prof. Dr. Tonio Walter für LTO ausführlich kommentierte. Der BGH fordert Tatrichter in seinem wegweisenden Urteil explizit dazu auf, sich "einzelfallbezogen damit auseinanderzusetzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integrität drohte".
Man kann jemandem also nicht ohne Weiteres unterstellen, dass er eine andere Person verletzen wollte, wenn dies notwendig mit der – häufig nicht gewollten – Verletzung der eigenen Person einhergeht. Im Fall des LG Osnabrück lag es nach Ansicht des Gerichts dementsprechend nahe, davon auszugehen, dass der Angeklagte darauf vertraute, dass die Fahrzeuge nicht kollidieren würden.
Freiheitsstrafe im oberen Rahmen
Eine Strafbarkeit wegen Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) und wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b StGB) lehnte das Gericht ab. Eine Begründung dafür war der Pressemitteilung nicht zu entnehmen, es bleiben insofern die Urteilsgründe abzuwarten. Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung bezüglich des schwer verletzten Fahrers des VW Phaeton (§ 229 StGB) kam laut der Pressemitteilung des Gerichts mangels Strafantrags und besonderen öffentlichen Interesses (§ 230 StGB) nicht in Betracht.
Der Angeklagte habe allerdings keine rechtzeitigen Maßnahmen zur Feststellung seiner Beteiligung an dem Unfallgeschehen ergriffen, sodass er zudem wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) zu verurteilen sei.
Zugunsten des Angeklagten sei zu berücksichtigen, dass er nicht vorbestraft ist. Erschwerend habe die Kammer berücksichtigt, dass der Angeklagte aus nichtigem Anlass einen massiven Verkehrsverstoß begangen habe. Bei Geschwindigkeiten zwischen 110 Kilometern pro Stunde und 130 Kilometern pro Stunde habe das ruckartige Lenken in Richtung eines anderen Verkehrsteilnehmers ein besonders hohes Gefährdungspotenzial.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es kann binnen einer Woche mit der Revision zum BGH angegriffen werden.
PM/kj/LTO-Redaktion
LG Osnabrück: . In: Legal Tribune Online, 14.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54775 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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