Der Energiekonzern Eon wollte von der BRD, Niedersachsen und Bayern rund 380 Millionen Euro Schadensersatz für die Stillegung zweier Kernkraftwerke. Das LG Hannover aber lehnte am Montag ab: Eon habe es versäumt, sich rechtzeitig zu wehren.
Am Donnerstag hat das Landgericht (LG) Hannover die Schadensersatzklage des Energieriesen Eon gegen die Bundesrepublik Deutschland (BRD), den Freistaat Bayern und das Land Niedersachsen in Höhe von rund 380 Millionen Euro wegen der Stilllegung zweier Atomkraftwerke (AKW) abgewiesen (Urt. v. 04.07.2016, Az. 19 O 232/14). Ebenso erfolglos war die Klage auf Feststellung der Haftung dem Grunde nach für alle weiteren Schäden im Zusammenhang mit der Einstellung des Betriebs der Kernkraftwerke.
Im März 2011 hatte die Politik unter dem Eindruck des Reaktorunglücks im japanischen Fukushima sieben deutsche Atomkraftwerke herunterfahren lassen. Diese seien gemäß § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 Atomgesetz für mindestens drei Monate vom Netz zu nehmen. Begründet wurde das mit einem Gefahrenverdacht. Nach dem dreimonatigen sog. Moratorium folgte die Änderung des Atomgesetzes mit dem endgültigen Aus für zunächst acht AKW und den Ausstiegsplänen für die übrigen Anlagen bis Ende 2022.
Nach Auffassung des Energieunternehmens war diese vorläufige Betriebseinstellung rechtswidrig. Der Bund und die zwei Länder hätten nicht nur Amtspflichten verletzt, sondern von Anfang den Gesamtplan ("unzulässige Gesamtmaßnahme") gehabt, die sieben ältesten AKW, zu denen die zwei betroffenen Anlagen Eons zählen, aus wahltaktischen Gründen stillzulegen. Es sei nur darum gegangen, die Zeit bis zur Gesetzesänderung zu überbrücken und dafür eine öffentlich akzeptierte Begründung parat zu haben.
LG: Wer sich nicht wehrt, darf sich später nicht beschweren
Erfolg hatte das Unternehmen zumindest in erster Instanz nicht. Die 19. Zivilkammer des LG Hannover hat die Klage abgewiesen, da Eon die geltend gemachten Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung gemäß § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit Art. 34 GG nicht zustünden. Nach Auffassung des Gerichts hätte EoN Anfechtungsklage erheben und deren Suspensiveffekt nutzen müssen, um einen Anspruchsausschluss gemäß § 839 Abs. 3 BGB zu verhindern.
Damit unterlag der Konzern mit seinem Einwand, eine Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) wäre schon wegen der zu erwartenden Dauer im Hinblick auf das nur dreimonatige Moratorium ungeeignet gewesen. Man hätte auch die Kraftwerke nicht weiter betreiben beziehungsweise wieder hochfahren können, weil Eon damit die Verfügung missachtet und im Übrigen auf eigenes Risiko gehandelt hätte.
Die Gefahr erheblicher und risikobehafteter Aufwendungen zur Schadensvermeidung sah das LG nicht. Eohn hätte vielmehr nur seiner gewöhnlichen Geschäftstätigkeit nachgehen und die Kernkraftwerke weiter betreiben bzw. sofort wieder hochfahren müssen, die Gewinne hätten dem Unternehmen unabhängig von der späteren Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügungen zugestanden, so die Kammer.
Auch die Unzumutbarkeit durch eine "öffentliche Zwangslage", welche Eon - zu diesem Zeitpunkt besonders in der öffentlichen Wahrnehmung stehend - einwandte, um zu erklären, warum das Unternehmen nicht rechtlich gegen das Moratorium vorgegangen war, überzeugte die Kammer nicht.
Viele Fragen blieben offen
Eine Haftung ergebe sich auch nicht aus einer unzulässigen Informationstätigkeit von Bund und Ländern im Rahmen einer "Gesamtmaßnahme": Eine fortgesetzte warnende Informationstätigkeit, die eine eigenständige Ausübung repressiver hoheitlicher Befugnisse im staatshaftungsrechtlichen Sinne bedeute, habe nicht vorgelegen. Der Gesamtplan, die sieben ältesten Kernkraftwerke vorläufig vom Netz zu nehmen und später ganz stillzulegen, sei eben nicht justiziabel.
Schadensersatzansprüche stünden dem Energieunternehmen auch nicht aus dem hilfsweise geltend gemachten Rechtsinstitut des enteignungsgleichen Eingriffs zu, da auch insoweit der Vorrang des Primärrechtsschutzes gelte. Dabei beruft sich das LG auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (v. 26.01.1984, Az. III ZR 261/82), wonach ein Betroffener nicht die freie Wahl hat, ob er den Eingriff mit dem dafür vorgesehenen Rechtsmittel abwehren oder ihn hinnehmen und stattdessen eine Entschädigung verlangen will.
Offen ließ das LG die Frage der Passivlegitimation. Sowohl die Bundesrepublik als auch Bayern und Niedersachsen hatten argumentiert, schon gar nicht nicht passiv legitimiert zu sein. Die Bundesregierung, weil ihr die Amtshandlungen Bayerns und Niedersachsens mangels Sachkompetenzübergangs nicht zuzurechnen sein, die beiden Bundesländer, weil sie bloß auf eine bindende Weisung im Sinne von Art. 85 Abs. 2 Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland gehandelt hätten.
pl/ms/LTO-Redaktion
Mit Materialien von dpa
LG Hannover verneint Schadensersatz: . In: Legal Tribune Online, 04.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19881 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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