Gegen einen Familienrichter am AG Weimar hat das LG Erfurt die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Der Mann hatte zu Beginn der Corona-Pandemie als Zivilrichter die Maskenpflicht an zwei Schulen aufgehoben.
Das Landgericht (LG) Erfurt hat gegen einen Familienrichter am Amtsgericht (AG) Weimar die Anklage wegen Rechtsbeugung gem. § 339 Strafgesetzbuch (StGB) zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet (Az. 2 KLs 542 Js 11498/21). Dem 59-Jährigen droht bei einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren.
Der Richter hatte im April 2021 im Rahmen einer Kindschaftssache die Maskenpflicht für alle Schüler:innen an zwei Schulen in Weimar aufgehoben und damit bundesweit für Aufregung gesorgt (Beschl. v. 08.04.2021, Az. 9 F 148/21). Denn für den Schutz gegen hoheitliche Maßnahmen zur Eindämmung von Corona-Infektionen sind die Verwaltungsgerichte zuständig. Familiengerichte (FamG) hingegen dürfen gegenüber schulischen Behörden keine Anordnungen zum Kindeswohl und vor allem nicht gegen eine unbestimmte Zahl an Schüler:innen treffen – auch nicht in Sachen Corona-Schutzmaßnahmen. Diese scheinbare juristische Selbstverständlichkeit hatten im vergangenen Jahr allerdings sowohl der Bundesgerichtshof (BGH, Beschl. v. 06.10.2021, Az. XII ARZ 35/21) als auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Beschl v. 16.06.2021, Az. 6 AV 1.21 u.a.) klarstellen müssen.
Verhandlung vor Zweiter Großer Strafkammer
Die Staatsanwaltschaft Erfurt hatte nach der Entscheidung des Familienrichters die Diensträume, die Privatwohnung und das Auto des Richters durchsucht. In der Anklage formuliert die Staatsanwaltschaft, der Richter habe seine Entscheidung willkürlich getroffen und sich bewusst und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt. So soll er aktiv nach maßnahmenkritischen Eltern gesucht haben, welche die familienrechtliche Anregung auf Überprüfung des Kindeswohls gem. § 1666 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bei ihm stellen könnten. Auch soll er bereits vor Eingang der Anregung sichergestellt haben, dass die Ergebnisse der später in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten seinen Vorstellungen entsprechen.
Der Richter hatte in seinem rund 160 Seiten starken Beschluss wissenschaftlich höchst umstrittene bzw. widerlegte Thesen aufgestellt und das Robert-Koch-Institut in den empfohlenen Maßnahmen korrigieren wollen. In der Darlegung seiner Zuständigkeit für seine Entscheidung attestierte ihm der Bayerischer Verwaltungsgerichtshof einen "ausbrechenden Rechtsakt" (BayVGH, Beschl. v. 16.04.2021, Az. 10 CS 21.1113).
Anklage: Rechtsbeugung in zwei tateinheitlichen Fällen
Für das LG Erfurt waren die Ausführungen der Staatsanwaltschaft offenbar hinreichend überzeugend – mit Beschluss vom 4. August 2022 hat die Zweite Große Strafkammer die Anklage zur Hauptverhandlung wie beantragt zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet, wie das Gericht auf Anfrage von LTO mitteilt. Angeklagt ist Rechtsbeugung in zwei tateinheitlichen Fällen, §§ 339, 52 StGB.
Einen Hauptverhandlungstermin hat die Kammer noch nicht bestimmt. Eine Prognose für ein Datum konnte das LG Erfurt nicht abgeben. Burkhard Keske, Pressesprecher und Richter am LG, sagte dazu: "Ich gehe davon aus, dass noch in diesem Jahr mit der Hauptverhandlung begonnen werden dürfte."
Im Falle einer Verurteilung könnte der Mann seine Stellung als Richter verlieren, § 24 Deutsches Richtergesetz (DRiG), in Betracht kommt zudem ein Disziplinarverfahren. Derzeit ist der Mann unverändert am AG Weimar als Familienrichter tätig. Seine Dienstvorgesetzte ist die Präsidentin am LG Erfurt – dem Gericht, an dem auch das Strafverfahren gegen den Richter geführt wird. Das Gericht teilte dazu mit: "Die Geschäftsverteilung an den Gerichten wird durch die Präsidien beschlossen. Die Präsidentin des Landgerichts ist nicht befugt, Richter zu tauschen."
Für Gerhard Strate, Rechtsanwalt des Richters in dem Verfahren, kam die Eröffnung "überraschend". "Das kam sehr unerwartet, denn wir sind der Meinung, dass schon das Ermittlungsverfahren nicht abgeschlossen ist", so der Hamburger Strafverteidiger. Im Zuge der Durchsuchungen sei einiges schiefgelaufen. So habe es für die Sicherstellung und Auswertung von Speichermedien etwa an der nötigen richterlichen Anordnung gefehlt. Entsprechende Anträge gegen die Verwertung und die Verfahrenseröffnung seien gestellt oder in Vorbereitung. Strate habe daher keine Zweifel, dass der Richter freigesprochen werde.
Ermittlungsverfahren gegen andere Richterin eingestellt, Beschluss aufgehoben
In einem gleich gelagerten Fall hatte die Staatsanwaltschaft München II gegen eine Richterin aus Weilheim ermittelt. Diese hatte im Wege der einstweiligen Anordnung u.a. entschieden, dass ein Schulleiter und seine Stellvertreterin gegenüber einer Realschülerin nicht anordnen dürfe, auf dem Schulgelände eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen (Beschl. v. 13.04.2021, Az. 2 F 192/21).
Dieser Beschluss wurde im darauffolgenden Juli aufgehoben (Beschl. v. 22.07.2021, Az. 4 F 192/21). Eine Beschwerde war nicht statthaft.
Die Staatsanwaltschaft München II hatte das Ermittlungsverfahren gegen die Richterin eingestellt. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft lag kein hinreichender Tatverdacht vor, weil die Richterin ihre eigene Zuständigkeit in dem Beschluss thematisiert und festgestellt hatte.
Damit habe sie sich nicht vom Recht entfernt, wie es für einen Anfangsverdacht zum Vorliegen einer Rechtsbeugung gem. § 339 StGB erforderlich wäre, argumentierte die dortige Staatsanwaltschaft. Die Entscheidung sei zwar falsch, aber nicht strafbar.
Über den Familienrichter am AG Weimar entscheidet das nun nicht mehr die Staatsanwaltschaft. Der Fall liegt nun bei der Großen Strafkammer.
Familienrichter am AG Weimar: . In: Legal Tribune Online, 02.09.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49511 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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