Urteil im Lügde-Prozess: "Es bleibt die Fas­sungs­lo­sig­keit"

05.09.2019

Zwei Männer haben auf einem Campingplatz in Ostwestfalen viele Kinder über Jahre hinweg sexuell missbraucht. Das LG Detmold hat nun langjährige Freiheitsstrafen verhängt und die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet.

Im Lügde-Missbrauchsprozess sind die beiden Angeklagten unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Die Jugendschutzkammer des Landgericht (LG) Detmold verhängte am Donnerstag eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren gegen den 56-jährigen Andreas V. Der 34-jährige Mario S. bekam 12 Jahre. Das Gericht ordnete außerdem die anschließende Sicherungsverwahrung für die beiden Deutschen an (Urt. v. 05.09.2019, Az. 23 KLs 14/19).

Auf einem Campingplatz im lippischen Lügde hatten die beiden jahrelang in mehreren Hundert Fällen insgesamt 32 Kinder schwer sexuell missbraucht. Der ältere Mann soll dabei laut Anklage in mehr als 200 Fällen in die Körper von Kindern eingedrungen sein, der jüngere in fast 50 Fällen. Einige Opfer sollen zur Tatzeit noch im Kindergartenalter gewesen sein. Die meisten Taten sollen die Männer in der Unterkunft von Andreas V. auf dem Campingplatz an der Grenze zu Niedersachsen begangen haben.

LG: "Es fällt schwer, das Geschehen in Worte zu fassen"

"Nach wie vor fällt es schwer, das Geschehen in Worte zu fassen", sagte die Vorsitzende Richterin Anke Grudda anlässlich der Urteilsbegründung. Worte wie "abscheulich, monströs, widerwärtig" reichten nicht aus, das Geschehen zu beschreiben. "Auch nach zehn Verhandlungstagen bleibt die Fassungslosigkeit." Die beiden seien für Taten an 32 Kindern verurteilt worden, auch wenn die Zahl der Opfer vermutlich viel höher ausfalle. Die Kammer habe zudem leider nicht den Eindruck gewinnen können, dass die beiden auch nur ansatzweise verstanden hätten, welche Schuld sie auf sich geladen hätten. Für beide Täter ordnete das Gericht die anschließende Sicherungsverwahrung an.

Neben der Vielzahl der Fälle, der Dauer des Missbrauchs und seiner Gewalttätigkeit wertete das Gericht die "infame und niederträchtige Vorgehensweise" der Angeklagten strafverschärfend: Beide Männer seien in der Verhandlung als "Kindermagnete" beschrieben worden, schilderte Grudda. Mit Geschenken und Unternehmungen um und im "Kinderparadies" Campingplatz hätten sie sich das Vertrauen der Kinder erschlichen und sich mit Erpressung, Gewaltandrohungen und emotionalem Druck das Schweigen ihrer Opfer gesichert.

Zu den Opfern des Dauercampers zählte auch ein Mädchen, das als Pflegetochter bei ihm einzog und als Lockvogel diente, um an weitere Opfer zu gelangen. Eine Psychiaterin hatte Andreas V. im Prozess als manipulativ, narzisstisch und antisozial beschrieben, mit einer tief verwurzelten Neigung für Kindesmissbrauch.

"Wahrlich wenige" Gründe, von der Höchststrafe abzuweichen

Gründe, von der Höchststrafe von 15 Jahren abzuweichen, gebe es "wahrlich wenige", so Grudda. Strafmildernd wertete das Gericht aber, dass beide Männer nicht vorbestraft waren und gleich zu Beginn des Prozesses gestanden hatten. Letzteres habe den Opfern die Tortur einer detaillierten Befragung durch das Gericht erspart.

Der Anwalt von Mario S. will nach Angaben des Gerichtssprechers keine Revision einlegen. Der Anwalt von Andreas V., Johannes Salmen, sagte, er werde seinen Mandanten nicht überreden, in die Revision zu gehen. Das Urteil sei gut begründet gewesen, meinte er. Auch die Anordnung der Sicherungsverwahrung sei erwartet worden. Vertreter von Nebenklägern bezeichneten das Urteil als "angemessen".

Der Prozess hatte vor zehn Wochen Ende Juni begonnen. Aus Opferschutzgründen fand er in weiten Teilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Am Rande des Prozesses hatten Nebenklägervertreter von schweren Traumata ihrer Mandanten berichtet.

Dritter Mitangeklagter bereits zu Bewährungsstrafe verurteilt

Das Strafverfahren gegen einen dritten Mitangeklagten war frühzeitig abgetrennt worden, weil die vorgeworfenen Taten deutlich weniger schwer wogen: Ein 49-jähriger aus Stade in Niedersachsen war bereits am 17. Juli zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil er wiederholt an Webcam-Übertragungen teilgenommen hatte, bei denen ein Kind auf dem Campingplatz sexuell missbraucht wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe gefordert und hat zwischenzeitlich Revision eingelegt.

In dem Fall stehen auch Polizei und Jugendämter in der Kritik, weil sie Hinweisen auf den Hauptverdächtigen zunächst nicht nachgegangen sein sollen. Auch bei den Ermittlungen gab es Pannen, unter anderem verschwanden Beweismittel. Der nordrhein-westfälische Landtag hat deshalb einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingesetzt.

Nach Bekanntwerden des Falls hatte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) das Thema zur Chefsache erklärt. Mittlerweile stuft das nordrhein-westfälische Innenministerium Kindesmissbrauch und Kinderpornografie als "kriminalpolitischen Schwerpunkt" aller NRW-Polizeibehörden ein. In den Kreispolizeibehörden sei das Personal für die Bearbeitung solcher Fälle "deutlich aufgestockt" worden, hieß es aus dem Ministerium.

dpa/mgö/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Urteil im Lügde-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 05.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37455 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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