Wikipedia muss sich als journalistisches Medium behandeln lassen, sagt das Landgericht Berlin. Die Plattform habe sicherzustellen, dass von ihren Autoren presserechtliche Sorgfaltsmaßstäbe eingehalten würden. Anderenfalls müsse man korrigieren.
Der juristische Streit darum, welche Verantwortung das Online-Lexikon Wikipedia für seine Einträge hat, ist um ein interessantes Kapital reicher. Wie nun bekannt wurde, war im August ein Karlsruher Informatik-Professor mit einer Unterlassungsklage gegen die Betreiberin vor dem Landgericht (LG) Berlin erfolgreich, weil sein Eintrag unrichtige Tatsachenbehauptungen enthielt (Urt. v. 28.08.2018, Az. 27 O 12/17). In dem Urteil kam das Gericht zu dem Schluss, Wikipedia-Autoren müssten die gleichen Sorgfaltspflichten beachten, wie Journalisten. Geschehe das nicht, müsse der Eintrag korrigiert werden.
Wikipedia erstellt die Artikel auf seiner Website nicht selbst, sondern lässt diese von z. T. anonymen Nutzern (oft mehreren an einem Artikel) schreiben, die diese auch stetig aktualisieren können. Die Qualitätskontrolle erfolgt ebenfalls durch andere Nutzer. Weitergehende Rechte haben sogenannte Administratoren, die aber ebenfalls nur Nutzer sind und nicht für Wikipedia arbeiten. Betreiber der Plattform ist die Wikimedia Foundation mit Sitz in San Francisco.
Prof. Alexander Waibel, der u. a. Computerwissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie lehrt, hatte auf seinem Wikipedia-Eintrag unrichtige Informationen ausgemacht, die die anonymen Autoren mit Verweisen auf Fernsehsendungen und Presseberichte belegt hatten. So stand dort u. a., Waibel habe im Auftrag von amerikanischen Geheimdiensten, insbesondere für das amerikanische Regierungsprogramm Total Information Awareness, geforscht. Diese Behauptung war zuvor in der ARD-Sendung FAKT verbreitet worden und fand sich nun auch in seinem Eintrag der Online-Enzyklopädie, obwohl er dem mehrfach öffentlich entgegengetreten war.
Wikipedia haftet als Störerin
Waibel forderte die Wikimedia Foundation auf, den Eintrag zu korrigieren, da er den Inhalt als rufschädigend betrachtete. Wikipedia sah sich allerdings nicht in der Pflicht und verwies auf sein internes Qualitätsmanagement. Vor Gericht argumentierte man, aus dem Eintrag habe sich durchaus ergeben, dass Waibel der Darstellung in dem ARD-Beitrag widersprochen habe. Zudem seien alle Äußerungen mit Nachweisen in den Fußnoten belegt. Es handele sich um seriöse Quellen, neben FAKT u. a. auch Spiegel Online.
In seinem Urteil, das LTO vorliegt, erkannte das LG Berlin Waibel aber einen Unterlassungsanspruch für die beanstandeten Aussagen gegen die Wikimedia Foundation zu. Die Betreiberin hafte zwar nicht deliktsrechtlich als Täterin, sehr wohl aber als Störerin und habe somit, nachdem sie Kenntnis davon erlangt hatte, dass der Inhalt des Eintrags umstritten war, dies prüfen müssen.
Erfahre die Wikipedia-Betreiberin von möglicherweise falschen Behauptungen auf ihrer Seite, habe sie die Pflicht, dem nachzugehen und könne sich auch nicht darauf zurückziehen, dass man die Inhalte nicht selbst erstelle und daher keine Möglichkeit habe, diese zu überprüfen, begründete das LG seine Entscheidung. Diese Unzulänglichkeit basiere schließlich auf der selbst gewählten Organisationsstruktur, die zu ihren eigenen Lasten gehe.
LG: Autoren müssen journalistische Sorgfaltspflichten beachten
Insoweit stützte man sich auf bestehende BGH-Rechtsprechung zu sog. Host-Providern, die u. a. zu Blogeinträgen erging (Urt. v. 25.10.2011, Az. VI ZR 93/10), wonach der Betreiber eines Portals nicht aktiv prüfen, aber im "Notice and take down"-Verfahren auf Beschwerden reagieren muss. Somit ging man also nicht über bereits anerkannte Grundsätze hinaus.
Wirklich bemerkenswert dagegen war der Schritt, den das Gericht gedanklich vorher machte, um überhaupt einen Fehler im Eintrag zu begründen. So stellte man fest, dass die Autoren nicht den Sorgfaltskriterien entsprochen hätten, welche die Rechtsprechung für Presseberichte entwickelt habe. Danach müssten u. a. Behauptungen mit "privilegierten Quellen", wie etwa behördlichen Mitteilungen oder anerkannten Presseagenturen belegt werden. Genau dies, so die Ansicht der Berliner Richter, müsse aber auch für Veröffentlichungen in der Wikipedia gelten.
Wikipedia-Autoren als Journalisten? Eigentlich scheint das fernliegend. Die Einträge dort sind i. d. R. vielmehr Gruppenarbeitsprodukt als Journalistenarbeit. "Anonym bleibende Schwarmintelligenzler" schüfen dort eine enorme Stofffülle, bemerkt Prof. Dr. Jan Hegemann, Partner der Kanzlei Raue LLP in Berlin, der Waibel in dem Verfahren vertreten hatte, im LTO-Gespräch. Doch die Qualitätskontrolle bleibe selbstreferenziell. Wenn Wikipedia-Administratoren eine Quelle bestätigten, werde diese nicht weiter geprüft.
ARD-Magazin keine "privilegierte Quelle"
Jedenfalls die Maßstäbe dafür werden sich nach dem Urteil aber wohl ändern müssen. "Für Wikipedia gelten die gleichen Sorgfaltsanforderungen wie für Presseberichte, das ist der zentrale Satz dieses Urteils", fasste Hegemann zusammen. "Die verlangen von Journalisten u. a. den Nachweis von privilegierten Quellen, eine Stellungnahme des Betroffenen und so weiter. Dabei können sich Wikipedia-Autoren nicht, wie bisher üblich, einfach nur auf Berichte in den Medien stützen."
So stellte man fest, dass der konkrete Autor nicht den Sorgfaltskriterien entsprochen habe, welche die Rechtsprechung für journalistische Beiträge entwickelt habe. Danach können u. a. Behauptungen ohne weitere Recherche nur mit "privilegierten Quellen" belegt werden. Das Magazin FAKT aber, so zeigt es das Urteil, ist in den Augen des LG jedenfalls keine solche Quelle.
LG Berlin zu Sorgfaltspflichten auf Plattform: . In: Legal Tribune Online, 01.11.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31815 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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