Winfried Kretschmann hat vorgeschlagen, mit möglicherweise unverhältnismäßigen Maßnahmen gleich zu Beginn einer Pandemie monatelange (Teil-)Lockdowns zu verhindern. Das stößt auf viel Kritik.
Im Interview mit Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten vom Freitag schlug Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) vor, harte Eingriffe in die Bürgerfreiheiten zu ermöglichen, um Pandemien schneller in den Griff zu bekommen. Mit Maßnahmen, die zu diesem Zeitpunkt vielleicht unverhältnismäßig gewesen wären, hätte man Grundrechtseinschränkungen über Monate verhindern können.
Er monierte aus seiner Sicht zu weit gehende Gerichtsentscheidungen: "Von Beginn an haben uns die Gerichte viele Instrumente gegen die Pandemie aus der Hand genommen, weil sie gesagt haben, diese seien nicht verhältnismäßig gegenüber dem Bürger." Kretschmann führte aus, dass man für ein solches Notstandsgesetz möglicherweise das Grundgesetz ändern müsse.
Diese Äußerungen führten schnell zu Kritik aus allen Richtungen. CDU, SPD, FDP und AfD im Bundestag hatten den Vorschlag des Grünen-Politikers, Freiheitsrechte der Bürger im Kampf gegen Pandemien noch drastischer einzuschränken, als rechtswidrig und inakzeptabel kritisiert.
Kritik kommt auch vom VGH BaWü
Auch die Justiz hat der Idee für einen Pandemie-Notstand eine Absage erteilt. "Dem Vorschlag, durch besondere Pandemiegesetze auch eventuell unverhältnismäßige Maßnahmen zu ermöglichen, steht entgegen, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip als ein wesentliches Element unseres Rechtsstaatsverständnisses im Grundgesetz verankert ist", sagte der Sprecher des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Matthias Hettich. Er betonte, dass die Verwaltungsgerichte aufgrund ihres verfassungsrechtlichen Auftrags ausschließlich nach Recht und Gesetz entschieden, ob staatliche Maßnahmen des Infektionsschutzes unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bürger eingreifen.
Hettich unterstrich: "Für die Bürgerinnen und Bürger ist es wichtig, sich darauf verlassen zu können, dass eine unabhängige Kontrolle des Handelns des Gesetzgebers und der Verwaltung stattfindet." Es stelle sich die Frage, welche VGH-Entscheidungen der Landesregierung elementare Instrumente der Pandemiebekämpfung aus der Hand genommen hätten.
Später hatte Kretschmann erklärt, er bedauere, dass das Interview zu "Missverständnissen" geführt habe. "Im Rechtsstaat gilt immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - und zwar immer und ohne Einschränkung." Dieses zentrale Prinzip der Verfassung würde er nie in Frage stellen. "Umso mehr ärgert es mich, dass durch meine Äußerungen offenbar dieser Eindruck entstanden ist."
dpa/ast/LTO-Redaktion
Baden-Württembergs Ministerpräsident in der Kritik: . In: Legal Tribune Online, 28.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45317 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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