Im August 2019 fallen in einem Berliner Park Schüsse. Ein Georgier tschetschenischer Abstammung wird tödlich getroffen. In dem Strafprozess geht es nun um weit mehr als einen Mord. Das Urteil könnte erhebliche politische Konsequenzen haben.
Der mutmaßliche Mörder kam wohl getarnt als Tourist mit Alias-Namen aus Moskau über Paris und Warschau in die deutsche Hauptstadt. Wenige Tage später, am 23. August 2019, soll der Russe einen Georgier tschetschenischer Abstammung im Kleinen Tiergarten erschossen haben - mit einer Schalldämpfer-Pistole, am helllichten Tag, nicht weit vom Berliner Regierungsviertel entfernt. Rund ein Jahr später beginnt nun am Mittwoch unter strengen Sicherheitsvorkehrungen der Mordprozess gegen den 55-Jährigen am Berliner Kammergericht.
Die Hauptverhandlung, die von einem Staatsschutzsenat des Gerichts geführt wird, dürfte einer der spektakulärsten Mordprozesse seit Jahren in Berlin werden. Denn virtuell sitzt auch die russische Regierung mit auf der Anklagebank. Das Urteil könnte erhebliche politische Auswirkungen haben. Sollte es das Gericht als erwiesen ansehen, dass der Angeklagte einen Auftrag zum Töten aus Moskau bekam, wäre dies ein weiterer herber Rückschlag für das ohnehin schon schwer angeschlagene Verhältnis beider Länder. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat für diesen Fall bereits Konsequenzen angekündigt.
Wie weit ist Russland involviert?
Die Bundesanwaltschaft geht in ihrer Anklage davon aus, dass der Angeklagte von "staatlichen Stellen der Zentralregierung der Russischen Föderation" beauftragt wurde. Hintergrund sei demnach "die Gegnerschaft des späteren Opfers zum russischen Zentralstaat, zu den Regierungen seiner Autonomen Teilrepubliken Tschetschenien und Inguschetien sowie zu der pro-russischen Regierung Georgiens" gewesen. Wegen des vermuteten politischen Hintergrundes hatte die höchste deutsche Anklagebehörde die Ermittlungen übernommen.
An jenem 23. August vor einem Jahr soll sich der angeklagte Russe auf einem Fahrrad dem 40-jährigen Tschetschenen, der seit Ende 2016 als Asylbewerber in Deutschland lebte, im Kleinen Tiergarten genähert haben. Mit einer halbautomatischen Kurzwaffe soll er den Mann aus nächster Nähe niedergeschossen und dem bereits am Boden liegenden Opfer noch zwei Mal in den Kopf geschossen haben.
Der 40-Jährige starb am Tatort. Er war von russischen Behörden als Terrorist eingestuft worden. Ihm sei vorgeworfen worden, Mitglied der terroristischen Vereinigung "Kaukasisches Emirat" gewesen zu sein, Mitglieder der Vereinigung in Georgien ausgebildet zu haben und zudem für die Schleusung von Mitgliedern der Gruppe zuständig gewesen sein.
Der mutmaßliche Mörder war noch am selben Tag gefasst worden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Zeugen hatten beobachtet, wie er eine Perücke sowie ein Fahrrad und eine Waffe in der Spree versenkte. Der Pass mit den Alias-Personalien sei von einer russischen Einwanderungsbehörde ausgestellt worden, hieß es.
Diplomaten ausgewiesen, Wutanfall abbekommen
Die Bundesregierung wirft der russischen Regierung seit Monaten fehlende Kooperation in dem Fall vor und hatte deswegen bereits wenige Wochen nach dem Mord zwei russische Diplomaten ausgewiesen. Präsident Wladimir Putin reagierte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel nach einem Ukraine-Gipfel mit einem Wutausbruch und nannte den Ermordeten einen "Banditen" und "Mörder". Wenig später wurden auch zwei deutsche Diplomaten in Moskau ausgewiesen.
Mit dieser Vorgeschichte hängt wohl auch zusammen, dass Merkel nun auch im Fall des vergifteten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny ungewöhnlich offensiv vorgeht. Auch hier verlangt die Bundesregierung Aufklärung. Auch hier steht - möglicherweise schon beim nächsten EU-Gipfel Mitte Oktober - eine Entscheidung über Konsequenzen an.
Hinzu kommt ein weiterer Fall, der die Bundesanwaltschaft beschäftigt: Der bisher größte Cyber-Angriff auf den Bundestag im Jahr 2015, von dem auch Merkels Büro betroffen war. Die Karlsruher Ermittler haben einen Haftbefehl gegen einen russischen Hacker erwirkt. Auch hier behält sich die Bundesregierung Konsequenzen vor.
Es hat sich also einiges angestaut. Außenminister Heiko Maas sagte kürzlich zum Fall Nawalny: "Aufgrund der Ereignisse, die wir hier erleben mussten, mit dem Tiergarten-Mord und dem Bundestags-Hack, täte Russland gut daran, deutlich zu machen, dass man aus Geschehenem gelernt hat." Aber auch jetzt werfen sich Deutschland und Russland wieder gegenseitig mangelnde Kooperation vor.
Prozess soll das Motiv klären
Was beim sogenannten Tiergartenmord noch unklar zu sein scheint, ist das Motiv des mutmaßlichen Täters. "Entweder erhoffte er sich eine finanzielle Entlohnung oder er teilte das Motiv seiner Auftraggeber, einen politischen Gegner zu töten und hierdurch Vergeltung für die Beteiligung an früheren Konflikten mit Russland zu üben", heißt es bei der Bundesanwaltschaft.
Zu dem Angeklagten existierte eine russische Fahndungsmitteilung vom April 2014, die im Juni 2014 ergänzt und im Juli 2015 gelöscht wurde. Diese Person wurde von den russischen Behörden wegen eines am 19. Juni 2013 in Moskau verübten Mordes gesucht.
Bislang sind laut Gericht für den Prozess in Berlin 25 Verhandlungstage bis zum 27. Januar 2021 festgelegt worden. Der Strafsenat ist mit fünf Richtern besetzt. Verhandelt wird wegen der Sicherheitsvorkehrungen im Gebäude des Kriminalgerichts Moabit.
Es ist nicht das erste Mal, dass es in einem Strafprozess auch um die mögliche Verstrickung staatlicher Stellen geht. Der letzte größere Prozess dieser Art in Berlin endete vor knapp 20 Jahren: Nach dem Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle" im April 1986 urteilte das Landgericht im November 2001, das Attentat sei von Mitarbeitern des libyschen Geheimdienstes federführend geplant worden.
dpa/pdi/LTO-Redaktion
Prozessbeginn zum Tiergartenmord: . In: Legal Tribune Online, 06.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43022 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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