Nach Anfeindungen und Shitstorm: NRW-Sozialrichter verteidigen umstrittenes Hartz-IV-Urteil

14.02.2014

Das LSG NRW hat sich gegen öffentliche Schelte an ihren Urteilen zum Anspruch von EU-Bürgern auf Hartz IV verteidigt. Wenn man die Freizügigkeit in der EU bejahe, sei es schwierig, Familien ohne Hab und Gut die Sozialleistungen dauerhaft und pauschal zu versagen, argumentierten die Richter am Donnerstag bei der Vorstellung ihres Jahresberichts in Essen.

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hatte in zwei noch nicht rechtskräftigen Urteilen entschieden, dass auch arbeitslose EU-Bürger ein Recht auf Sozialleistungen in Deutschland haben. In der Debatte um angebliche Armutszuwanderung sei danach ein "heftiger Shitstorm" über sie hereingebrochen. Die Richter berichteten von teilweise aggressiven Anfeindungen.

"Wir proben hier nicht den Aufstand, wir wenden nur bestehendes Recht an", sagte Richter Martin Löns. Nach Ansicht der Essener Sozialrichter kommt es einer "kalten Ausweisung" gleich, wenn ein Rechtssystem Menschen ohne gesichertes Existenzminimum Sozialleistungen verwehrt. "So ist das europäische Freizügigkeitsrecht sicherlich nicht auszulegen", sagte LSG-Richter Martin Kühl.

Richter fordert "politischen Mut"

Die Frage nach der Vereinbarkeit von Sozialrecht und Freizügigkeit betreffe im übrigen nicht ausschließlich Rumänen und Bulgaren, die im Rahmen der Zuwanderungsdebatte häufig im Fokus standen, sondern alle EU-Bürger: Die Richter verwiesen darauf, dass ein Gericht in Österreich lebenden Deutschen ein Recht auf die österreichische Solidarrente gewährt hatte.

Die nationalen Gesetzgeber müssten sich daher grundsätzlich überlegen, wie sie mit der Frage umgehen wollten, welche Sozialleistungen Bürgern anderer EU-Staaten zustünden, ohne damit Missbrauch im großen Umfang zu schüren. Entsprechend müssten sie dann das Freizügigkeitsrecht und das Sozialrecht harmonisieren. "Dazu gehört auch politischer Mut", so der oberste NRW-Sozialrichter Joachim Nieding.

Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen EU-Ausländer einen Anspruch auf Hartz IV-Leistungen haben, wird von den deutschen Gerichten derzeit noch uneinheitlich beantwortet. So fällte das LSG Niedersachsen ein gegenteiliges Urteil zu dem der NRW-Richter.

dpa/age/LTO-Redaktion

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Nach Anfeindungen und Shitstorm: . In: Legal Tribune Online, 14.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10997 (abgerufen am: 15.11.2024 )

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