Noch weiß man nicht, wie der Impfschutz wirklich wirkt. Was aber, wenn von Geimpften keine Gefahr mehr ausgeht? Dann dürfe es für Geimpfte Lockerungen geben, so der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages.
Kurz nach dem Start der Impfungen gegen das Coronavirus ging die Debatte darüber los, ob es "Sonderrechte" oder Privilegien" für Geimpfte geben dürfe. Gemeint war die Frage, ob Personen, die bereits geimpft worden sind, weiter mit den Einschränkungen leben müssen oder ob sie wieder am öffentlichen Leben teilhaben dürfen – während die nicht-geimpften Personen weiter zu Hause bleiben müssten.
Eine Frage, die zurzeit noch nicht beantwortet kann, denn: Noch ist nicht klar, ob geimpfte Personen weiterhin infektiös sind. Solange das nicht feststeht, "fehlt es an einer tatsächlichen Grundlage für eine Lockerung bestehender infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen für geimpfte Personen", so ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes (WD) des Bundestages, das die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram in Auftrag gegeben hat.
Was aber, wenn von Geimpften tatsächlich keine Infektionsgefahr mehr ausgeht? Auch zu dieser Frage machen sich die Bundestagsjuristen in einem elfseitigen Gutachten mit dem Titel "Fragen zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen von geimpften gegenüber ungeimpften Personen" Gedanken. Sollte sich zukünftig gesichert feststellen lassen, dass von geimpften Personen keine Ansteckungsgefahr ausgeht, stelle sich für diese Gruppe die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Eingriffe neu. "Sonderrechte" oder "Privilegien" seien das aber nicht, vielmehr handele es sich "lediglich um die Wiederherstellung des verfassungsgemäßen Zustandes", heißt es in dem Papier.
Besonders hohe Anforderungen an Eingriffe
In diesem Szenario kommen generalpräventive freiheitsbeschränkende Maßnahmen laut WD nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht. "Die Anforderungen an die Erforderlichkeit und die Angemessenheit sind hier besonders hoch", so das Gutachten. Schwerwiegende Grundrechtseingriffe, wie z.B. die zeitweise Schließung eines Friseursalons und das damit verbundene Berufsverbot, dürften laut WD dann nicht mehr zu rechtfertigen sein. Die Rechtfertigung von Maßnahmen, von denen alle betroffen sind und die nur einen geringen Eingriff bedeuten, blieben dagegen weiter möglich. Als Beispiel nennt der WD die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr.
Private Veranstalter oder Unternehmen können laut Gutachten zwar frei entscheiden, ob sie Ungeimpfte von ihren Leistungen ausschließen, dies gelte jedoch nicht zum Beispiel bei Fußballspielen oder bei Monopolen mit lebenswichtigen Gütern. Laut dem WD ist die "Abwägung der kollidierenden Rechte unter Berücksichtigung des Einzelfalls vorzunehmen", und "die Zumutbarkeit des Einsatzes von milderen Mitteln (beispielsweise Schnelltests und Hygienemaßnahmen) zu berücksichtigen."
"Es ist keine Diskriminierung, wenn man Grundrechtseinschränkungen aufhebt", sagte Bayram. Auch sie lehne die Begriffe "Sonderrechte" und "Privilegien" ab. Es sei jedoch jeder in seiner Eigenverantwortlichkeit gegenüber den Anderen und der Gesellschaft gefordert, so die Juristin in einer Mitteilung.
acr/LTO-Redaktion
Wissenschaftlicher Dienst zu den Corona-Impfungen: . In: Legal Tribune Online, 28.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44125 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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