Ein EU-Abkommen sieht vor, dass Deutschland bestimmte Straftaten auch dann verfolgen kann, wenn dieselbe Tat in einem anderen EU-Staat bereits verurteilt wurde. Das OLG Bamberg hatte Bauchschmerzen. Nun hat sich der EuGH geäußert.
Eine Ausnahme des Verbots der Doppelbestrafung (ne bis in idem) ist in bestimmten Ausnahmefällen zulässig. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag auf eine Vorlage des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg entschieden (Urt. v. 23.03.2023, Az. C-365/21).
Hintergrund der Entscheidung ist die Beschwerde eines israelischen Staatsbürgers, der aufgrund eines europäischen Haftbefehls des Amtsgerichts Bamberg vom März 2021 in Österreich verhaftet wurde. Ihm wird vorgeworfen, mit einem betrügerischen System Anleger in ganz Europa um ihr Geld gebracht und eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Im September 2020 wurde er in der Sache in Österreich unter anderem wegen gewerbsmäßigen schweren Betrugs zu Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Die deutschen Gerichte standen vor der Frage, ob die österreichische Verurteilung einer erneuten Strafverfolgung entgegensteht. Nach Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) ist es grundsätzlich nicht möglich, eine bereits im EU-Ausland rechtskräftig abgeurteilte Tat noch einmal zu verfolgen. Allerdings sieht Art. 55 SDÜ vor, dass Mitgliedsstaaten erklären können, in bestimmten Fällen nicht an das Verbot der Doppelbestrafung aus Art. 54 SDÜ gebunden zu sein. Von dieser Möglichkeit hatte die Bundesrepublik bei der Ratifikation des SDÜ für den Fall Gebrauch gemacht, wenn die im Ausland abgeurteilte Tat eine Straftat nach § 129 Strafgesetzbuch (StGB), also die Bildung einer kriminellen Vereinbarung, darstellt. Weitere Voraussetzung für eine Ausnahme des ne bis in idem Grundsatzes nach Art. 55 SDÜ ist, dass die Tat (in diesem Fall also die Bildung der kriminellen Vereinigung) "eine gegen eine gegen die Sicherheit des Staates oder andere gleichermaßen wesentliche Interessen" gerichtete Straftat darstellt.
Ausnahme von ne bis in idem zulässig
Das OLG Bamberg hatte trotzdem Bedenken, ob das richtig sein kann. Es legte den Fall dem EuGH vor und wollte wissen, ob Art. 55 SDÜ mit Art. 50 der EU-Grundrechtscharta vereinbar ist, in dem das Verbot der Doppelbestrafung ebenfalls geregelt ist. Falls dem so sei wollte das OLG ebenfalls wissen, ob es gegen EU-Grundrechte verstößt, dass von der Ausnahme der doppelten Verfolgbarkeit von § 129 StGB auch Vermögensstraftaten erfasst werden, die keine politischen, ideologischen, religiösen oder weltanschaulichen Ziele verfolgen.
Der EuGH entschied nun, dass Art. 55 SDÜ mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar ist. Das Gericht verwies darauf, dass Art. 55 SDÜ den Mitgliedstaaten ermöglicht, Straftaten zu verfolgen, die sie selbst betreffen. Die Ahndung der Straftat verfolge deshalb zwangläufig andere Ziele, als bei der ursprünglichen Verurteilung. Die Einschränkung des Doppelstrafverbots entspreche in Anbetracht der Bedeutung von für den Staat sicherheitsrelevanten Straftaten einer dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung und sei auch verhältnismäßig. Zu beachten sei dabei auch, dass wegen der Tat bereits im Ausland erlittene Freiheitsentziehungen auf eine etwaige erneute Strafe angerechnet werden müssen.
Grundsätzlich sei laut EuGH auch nicht auszuschließen, dass sich kriminelle Vereinigungen, die ausschließlich Vermögensstraftaten begehen, gegen die Sicherheit des Staates richten könnten. Im konkreten Fall hielt der EuGH das aber für unwahrscheinlich. Trotz der erheblichen Vermögensschäden sei nicht ersichtlich, dass die Bundesrepublik dadurch geschädigt worden wäre. Das zu prüfen sei aber Sache des OLG Bamberg.
acr/LTO-Redaktion
EuGH zu ne bis in idem bei Verurteilung im Ausland: . In: Legal Tribune Online, 23.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51388 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag