Justiz in Polen: EU-Par­la­ment will Rechts­staat­lich­keits­ver­fahren anstoßen

16.11.2017

Das Europäische Parlament sieht in Polen grundlegende europäische Werte gefährdet. Am Mittwoch einigten sich die Abgeordneten mit breiter Mehrheit auf erste förmliche Maßnahmen, um das Verfahren nach Art. 7 des EU-Vertrages einzuleiten.

Nun muss der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres einen "begründeten Vorschlag" ausarbeiten und die wesentliche Verletzungen der europäischen Grundwerte auflisten. Auf dieser Grundlage kann das Plenum später den Rat dazu auffordern, als Reaktion auf die "eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung" der europäischen Werte durch die polnischen Behörden den sogenannten Rechtsstaatlichkeitsmechanismus in Gang zu setzen. Das Verfahren kann in letzter Konsequenz dazu führen, dass Polen die Stimmrechte im Rat entzogen werden.

Die Parlamentarier sehen angesichts der umstrittenen Justizreformen insbesondere die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr. Sie forderten Polen auf, keine neuen Gesetze zu unterzeichnen, solange mit ihnen die Unabhängigkeit der Justiz nicht uneingeschränkt garantiert wird und die Empfehlungen der EU-Kommission und der Venedig-Kommission – einem Gremium des Europarats – umzusetzen.

Als "anschauliches Beispiel" dafür, dass sich Polen nicht an die EU-Verträge halte, wird in der Resolution die Weigerung genannt, Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) umzusetzen. Die Abgeordneten beziehen sich damit auf die Anordnung des EuGH, die Abholzung im Bialowieza-Urwald vorerst zu beenden, sowie die Vorgabe des Menschenrechtsgerichtshofs, Asylsuchende bis auf weiteres nicht nach Weißrussland zurückzuschicken.

PiS: "Man möchte einfach zeigen, wer den Hammer in der Hand hält"

Die konservative EKR-Fraktion, zu der auch die polnische Regierungspartei PiS zählt, unterstützte die Resolution nicht. "Es geht hier nicht um Rechtsstaatlichkeit", sagte der PiS-Abgeordnete Ryszard Legutko. "Man möchte einfach zeigen, wer den Hammer in der Hand hält", warf er den Befürwortern vor. Das Ganze sei "eine antipolnische Orgie", sagte er und verließ demonstrativ den Saal, ohne das Ende der Debatte abzuwarten. Polens Regierungschefin Beata Szydlo bezeichnete die Ereignisse im Europaparlament als "skandalös".

In einem eigenen Papier hatte die EKR vor einer politisch motivierten Debatte gewarnt und der Europäischen Kommission vorgeworfen, bei der Bewertung der Rechtsstaatlichkeit der EU-Länder mit "zweierlei Maß" zu messen.

Dagegen bedauerte der polnische EU-Abgeordnete Janusz Lewandowski von der christdemokratischen EVP-Fraktion, dass es wegen der Politik der nationalkonservativen Regierung in Warschau überhaupt zu diesen Debatten kommt. "Wir wollen diese Debatten nicht", sagte er und fügte hinzu: "Wir wollen, dass die Welt stolz ist auf Polen." Er gehört der polnischen Oppositionspartei Bürgerplattform PO an.

Rechtsstaatsdialog bisher ohne entscheidende Ergebnisse

Bereits seit Januar 2016 führt die Kommission einen Rechtsstaatsdialog mit Polen, der eigentlich verhindern soll, dass es überhaupt zu einem weitreichenden Verfahren wie dem nach Art. 7 des EU-Vertrages kommt. Bisher allerdings weitgehend ohne Erfolg.

Die Kommission droht deshalb bereits seit einigen Monaten mit der Einleitung eines Verfahrens nach Art. 7. "Der Justizminister in Polen ist auch der Generalstaatsanwalt. Und es liegt im Ermessen des Generalstaatsanwalts, die Präsidenten der Gerichte einzusetzen und zu entlassen", sagte Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans vor den Abgeordneten. "Lassen Sie das mal für einen Moment sacken."

Art. 7 des EU-Vertrages greift bei "schwerwiegender und anhaltender Verletzung" von Werten wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ein Drittel der Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament oder die EU-Kommission können solch ein Verfahren auslösen. Als schwerste Sanktion ist eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedstaates vorgesehen.

Damit es jedoch zu diesem Schritt kommen kann, müssen vorher die Staats- und Regierungschefs der übrigen EU-Staaten einstimmig feststellen, dass tatsächlich ein "schwerwiegender und anhaltender" Verstoß vorliegt. Dass es dazu kommen wird, ist äußerst unwahrscheinlich, denn die Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban wird ihre Zustimmung vermutlich verweigern, glaubt man in der Politik.

Das nun für Polen angestoßene Verfahren wird im EU-Parlament bereits seit Mai auch für Ungarn beraten. Im September 2018 soll im Plenum abgestimmt werden.

dpa/aka/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Justiz in Polen: . In: Legal Tribune Online, 16.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25565 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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