EGMR: Kündigung der Kirche wegen Ehebruchs rechtswidrig

msa/LTO-Redaktion

23.09.2010

Der EGMR beschäftigte sich zum ersten Mal mit der Kündigung von Kirchenangestellten aufgrund von Handlungen, die dem Privatleben zuzuordnen sind. In einem Fall erkannte es in der Entlassung eines Organisten wegen Ehebruchs einen Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. In einem anderen Fall erklärte es eine Kündigung für rechtmäßig.

Geklagt hatten zwei Arbeitnehmer, ein Organist und ein Presse-Mitarbeiter, denen aufgrund von außerehelichen Verhältnissen von ihren kirchlichen Arbeitgebern gekündigt worden war. Die Kirche argumentierte mit einer Pflichtverletzung des Arbeitsvertrages und der Notwendigkeit der Kündigung zur Erhaltung der eigenen Glaubwürdigkeit. Beide Männer hatten vor den deutschen Arbeitsgerichten mit ihren Klagen keinen Erfolg.

Das Bundesarbeitsgericht verwies bei seinen Entscheidungen jeweils auf ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985. In dem war festgestellt worden, dass kirchliche Arbeitgeber das Recht haben, Arbeitsverhältnisse eigenständig zu regeln. Die Arbeitsgerichte seien bei einer gerichtlichen Überprüfung an die religiösen und moralischen Maßstäbe der Kirchen allerdings nur gebunden, soweit sie mit den Grundsätzen der Rechtsordnung nicht in Konflikt stünden. Außerdem wurde in dem Grundsatzurteil herausgestellt, dass die von der Kirche geforderte Pflicht zur ehelichen Treue der Rechtsordnung nicht widerspreche. Der Ehe komme auch im deutschen Grundgesetz eine herausragende Bedeutung zu.

Das Bundesverfassungsgericht nahm die jeweils eingereichten Verfassungsbeschwerden, ebenfalls unter Berufung auf sein Grundsatzurteil, nicht zur Entscheidung an.

Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beklagten sich die beiden Betroffenen im Anschluss über die Weigerung der deutschen Arbeitsgerichte, ihre Kündigung aufzuheben und beriefen sich dabei auf Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens).

Entscheidung des Gerichtshofs

In beiden Fällen musste der EGMR darüber befinden, ob die deutschen Arbeitsgerichte die Rechte der Kirche auf Achtung ihrer Konventionen gegen die der Arbeitnehmer auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens abgewogen hatten.

In dem Fall des Organisten stellten die Richter eine Verletzung des Art. 8 fest. Der alleinige Verweis des entscheidenden Landesarbeitsgerichts darauf, dass die Organistentätigkeit des Klägers so eng mit der Mission der Kirche verbunden sei, dass diese ihn ohne Glaubwürdigkeitsverlust nicht weiter beschäftigen könne, reiche nicht aus. Das Familienleben des Klägers und dessen Schutz werden in der Entscheidung nicht einmal erwähnt.

Die Richter erkannten zwar an, dass der Kläger einen Arbeitsvertrag mit einer Loyalitäsverpflichtung gegenüber der Kirche unterzeichnet hatte, sie stellten aber fest, dass dies im Fall einer Trennung nicht zur Führung eines enthaltsamen Lebens zwingen könne.

Auch wurde berücksichtigt, dass es kaum Medienberichterstattung über den Fall gegeben hatte und der Kläger als Organist nur begrenzte Möglichkeiten hat eine neue Stelle zu finden.

In dem Fall des Pressemitarbeiters konnte das Gericht hingegen keine mangelhafte Abwägung und damit auch keine Rechtsverletzung feststellen. Hier bestand die Besonderheit, dass es sich bei dem Kläger um einen Mormonen und bei seiner Arbeit um Tätigkeiten in der Mormonenkirche handelte.

Da er als Mormone aufgewachsen war, habe er sich darüber im klaren sein müssen, welche Bedeutung die eheliche Treue für seinen Arbeitgeber habe und dass ein außereheliches Verhältnis mit den erhöhten Pflichten als Direktor der Öffentlichkeitsarbeit für Europa unvereinbar sei, betonten die Richter.
Bei den Mormonen gilt Ehebruch als "gräulichste aller Sünden".

Die Frage der Entschädigung im Fall des Organisten soll zu einem späteren Zeitpunkt geklärt werden.

Zitiervorschlag

EGMR: . In: Legal Tribune Online, 23.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1550 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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