Kruzifixe in Klassenzimmern verletzen die Europäische Menschenrechtskonvention nicht, urteilte die Große Kammer des EGMR am Freitag. Nicht nur die damit obsiegende italienische Regierung begrüßte die Entscheidung.
In dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) heißt es im Wesentlichen, der Staat müsse zwar bei der Gestaltung des schulischen Umfelds auch die weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern achten. Es lasse sich aber nicht beweisen, "ob ein Kruzifix an der Wand eines Klassenzimmers einen Einfluss auf die Schüler hat". Zudem billigen die Richter dem Staat einen Beurteilungsspielraum zu, wenn es um den Stellenwert der Religion geht, sofern es zu "keiner Form der Indoktrinierung" komme.
Mit einem Kammerurteil aus dem Jahr 2009 hatte der EGMR der klagenden italienischen Mutter noch Recht gegeben. Nun korrigierte die Große Kammer des Straßburger Gerichts am Freitag die Entscheidung, die das Kruzifix an staatlichen Schulen in Italien als Verletzung des Rechts auf Bildung (Art. 2 Prot. Nr. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention-EMRK) in Verbindung mit dem Recht auf Religions- und Gewissensfreiheit (Art. 9 EMRK) eingestuft hatte.
Auch wenn die Mehrheitsreligion in der schulischen Umgebung durch das Anbringen von Kruzifixen eine dominante Sichtbarkeit erfahre, reicht das nach Ansicht der Straßburger Richter nicht für eine Verletzung der Menschenrechtskonvention (Urt. v. 18.03.2011, Beschwerde-Nr. 30814/06).
Keine staatliche Indoktrinierung durch das passive Symbol einer dominanten Religion
Ebenso wenig wie die Tatsache, dass einer Religion angesichts ihrer dominanten Bedeutung in der Geschichte eines Landes im Lehrplan mehr Raum gegeben wird als anderen Religionen, stelle auch die dominante Sichtbarkeit in der schulischen Umgebung eine staatliche Indoktrinierung dar. Ein an der Wand angebrachtes Kruzifix sei ein "seinem Wesen nach passives Symbol", dessen Einfluss auf die Schüler nicht mit einem didaktischen Vortrag oder mit der Teilnahme an religiösen Aktivitäten verglichen werden könne, so die Richter der Großen Kammer.
Die CSU freute sich über das nun rechtskräftige Urteil: "Das ist eine sehr gute Entscheidung für Europa und für unsere christlichen Wurzeln", erklärte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt am Freitag. Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) sagte: "Das Kreuz steht für unsere christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerte." Bei allem Respekt für die Glaubens- und Gewissensfreiheit dürfe das "Wertekorsett", das unsere Gesellschaft zusammenhalte, nicht der Gleichgültigkeit geopfert werden.
Auch die Deutsche Bischofskonferenz begrüßte das Straßburger Machtwort. Der Gerichtshof beweise in der Abkehr von der ursprünglichen Entscheidung Sensibilität für die Bedeutung des Kreuzes als religiöses und als kulturelles Symbol, hieß es in einer in Bonn veröffentlichten Erklärung der Bischofskonferenz. Zugleich würden die unterschiedlichen Rechtstraditionen in den Staaten, die die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hätten, berücksichtigt.
dpa/plö/plLTO-Redaktion
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