Im Zuge einer Debatte über Polizeigewalt zeigte Bild.de 2013 unverpixelte Aufnahmen eines Polizisten. Deutsche Gerichte verboten die Verbreitung der Aufnahmen vollständig. Doch der EGMR gibt Bild.de nun Recht.
Bundesweite Schlagzeilen machten vor zehn Jahren Aufnahmen über eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen einem Mann und mehreren Polizeibeamten in einem Bremer Club. Ein Partygast hatte sich auffällig verhalten, nur kurze Zeit später lag er auf dem Boden. Ein Vorwurf, den damals vor allem Bild.de erhob: Die Beamten hätten eklatante Polizeigewalt angewandt.
Das reichweitenstarke Online-Medium berichtete darüber in zwei Beiträgen. Sie bestanden jeweils aus einem Text-Artikel und Video-Aufnahmen der Überwachungskamera des Clubs, die die Polizisten dabei zeigen, wie sie den Club-Besucher zu Boden bringen. Dabei soll es auch zum Einsatz von Schlagstöcken und Tritten gekommen sein.
Videoaufnahmen zeigen unverpixelten Polizisten
Beim ersten Beitrag, "Hier verprügelte die Polizei Daniel A. (28)", war den Videoaufnahmen ein Stimm-Kommentar unterlegt, der unter anderem sagte, dass der zu Boden gebrachte Familienvater wehrlos gewesen sei und ein Polizist ihn mehrmals brutal mit einem Schlagstock geschlagen habe. Der zweite Beitrag "Protokoll der Prügel-Nacht" zeigt im Gegensatz zum vorigen auch die Videoaufnahme vom Vorverhalten des Partygasts, der laut Gerichtsangaben mit Flyern um sich geworfen und aggressiv gestikuliert habe.
Dabei persönlichkeitsrechtlich relevant: Bild.de zeigte einen der beistehenden Polizisten unverpixelt. Dieser Polizist, der sich nach den gerichtlichen Feststellungen kein Fehlverhalten zu schulden hatte kommen lassen, erwirkte daraufhin vor deutschen Gerichten einen Unterlassungstitel gegen Bild.de, der dem Medium jegliche unverpixelte Abbildung, einschließlich in den beiden konkreten Beiträge, verbot. Dem widersprach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nun mit Urteil vom 31. Oktober 2023 (9602/18).
Deutsche Gerichte: Aufnahmen verletzen Persönlichkeitsrecht des Polizisten
Der unverpixelt gezeigte Polizist war gegen die Berichterstattung zunächst vor dem Landgericht (LG) Oldenburg vorgegangen. Neben Unterlassung begehrte er Schadensersatz. Sowohl fremde Menschen als auch seine Kinder hätten ihn mehrmals mit kritischen Kommentaren zum Video konfrontiert.
Das LG sprach dem Polizisten nur den Unterlassungsanspruch zu, beruhend auf §§ 823 Abs. 1, 1004 Bürgerliches Gesetzbuch i.V.m. §§ 22, 23 Kunsturhebergesetz (KUG). Die Vorschriften des KUG regeln explizit, unter welchen Voraussetzungen Medien Bilder veröffentlichen dürfen, auf denen der Abgebildete zu erkennen ist: grundsätzlich nur mit Einwilligung des Betroffenen (§ 22 KUG), mit mehreren Ausnahmen (§ 23 KUG). Letztlich läuft es bei der rechtlichen Beurteilung der Zulässigkeit der Bildnisverbreitung auf eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht und dem öffentlichen Interesse an der Bildberichterstattung hinaus.
Das Oldenburger Gericht entschied zugunsten des Polizisten, dass die Veröffentlichung der unverpixelten Aufnahmen sein grundrechtliches Persönlichkeitsrecht verletze, auch wenn es sich bei Abbildungen der Polizei als Träger des staatlichen Gewaltmonopols um "Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte" im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG handle.
Auf die von Bild.de angestrengte Berufung hin bestätigte das Oberlandesgericht Oldenburg das Verbot, und wies darauf hin, dass die Beiträge, insbesondere der erste, in dem nur die Polizeigewalt, nicht aber das Vorverhalten des Club-Besuchers gezeigt wurde, unausgewogen gewesen sei. Schließlich nahm das Bundesverfassungsgericht eine gegen die Urteile gerichtete Verfassungsbeschwerde von Axel Springer nicht zur Entscheidung an.
EGMR sieht Bild.de in Menschenrechten verletzt
Der EGMR urteilte nun am Dienstag, dass das die gerichtlichen Verbote Bild.de in der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 10 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verletze, die das Gericht mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK abwog. Die Helsinki Foundation of Human Rights unterstützte das Online-Medium als sogenannter Drittbeteiligter. Beklagte war die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch einen Verfahrensbevollmächtigten des Bundesministeriums der Justiz.
Das Gericht überprüfte dafür die zuvor vorgenommene Abwägung der deutschen Instanzgerichte. Als wichtige Abwägungsfaktoren benannte das Gericht unter anderem, das öffentliche Interesse an der Berichterstattung, die Funktion des Abgebildeten als öffentlicher Beamter, sowie Inhalt, Form und Konsequenzen der Berichterstattung für den Betofffenen.
Generelle Einschränkung von Berichterstattung über Polizei befürchtet
Zentral für die Entscheidung des EGMR war, dass das Verbot der Instanzgerichte auch für die Zukunft generell und unabhängig vom Berichterstattungskontext erteilt worden war. Der EGMR sah dadurch die Meinungsfreiheit verletzt und insbesondere die Berichterstattung über Polizeiverhalten in Gefahr: Die Urteile könnten zu einem generellen Verbot jeglicher zukünftiger Veröffentlichung von unverpixelten Bildern von Polizeibeamten bei ihrer Arbeit führen, das – so generell und unabhängig vom öffentlichen Interesse an der Gewaltausübung durch die Polizei formuliert – untragbar sei.
Insofern sah der EGMR das konkrete Verbot der ersten Berichterstattung als zulässig an, für falsch hielt er jedoch das Verbot der zweiten Veröffentlichung wegen der ausgewogeneren Darstellung des Sachverhalts sowie das generelle Verbot der unverpixelten Veröffentlichung für die Zukunft.
Deutschland muss der damals hinter Bild.de stehenden Bild GmbH & Co. KG 12 000 Euro von geforderten 20 000 Euro als Ersatz der Prozesskosten vor den deutschen Gerichten und dem EGMR zahlen. Das Urteil ist gemäß Art. 44 EMRK drei Monate nach Entscheidungsdatum gültig, wenn Deutschland keine Verweisung an die Große Kammer des EGMR beantragt, die erneut über den Fall befinden würde.
lst/LTO-Redaktion
EGMR gibt Bild nach Debatte um Polizeigewalt recht: . In: Legal Tribune Online, 01.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53041 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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