2/2: Verfassungsbeschwerde nicht angenommen
Vor deutschen Gerichten scheiterten die Beschwerdeführer mit ihrer Kritik an der Ermittlungspraxis der Polizei, eine Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht wurde nicht angenommen, weil sie keinen Aussicht auf Erfolg habe. Somit war es nun am EGMR, über die Rechtmäßigkeit der Untersuchungen zu befinden.
Die beiden Fans rügten eine Verletzung von Artikel 3 (Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Dieser sei zum einen aufgrund der behaupteten Gewaltanwendung durch die Polizei verletzt worden, zum anderen in verfahrensrechtlicher Hinsicht durch die Untersuchung der Ermittlungsbehörden, die unzureichend gewesen sei.
Hinsichtlich des Polizeieinsatzes erkannten die Straßburger Richter keine Konventionsverletzung und wiesen unter anderem darauf hin, dass die Beschwerdeführer erst Monate nach den fraglichen Vorfällen Strafanzeige gestellt hätten und ärtzliche Atteste über die erlittenen Verletzungen erst sechs Wochen nach dem Spiel angefertigt worden seien, ohne belegen zu können, woher diese stammten. Gleichwohl, so die Kammer, seien Rechtsverstöße durch die handelnden Beamten jedenfalls denkbar und müssten untersucht werden. Dies sei hier aber nicht in ausreichendem Maße geschehen.
EGMR: Fehlende Kennzeichnung erfordert besondere Aufklärungsmaßnahmen
Allein die Tatsache, dass den Anzeigen durch Beamte der gleichen Behörde nachgegangen worden war, begründete in den Augen der Richter noch keinen Rechtsverstoß. Zwar wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Ermittlungen von einer anderen Behörde durchgeführt worden seien, so der EGMR. Es habe sich bei den Ermittlern aber um Mitglieder einer auf Dienstvergehen spezialisierten Abteilung gehandelt, zu der keine direkten Kollegen der Beamten im Stadion gehört hätten.
Dies änderte in den Augen der Richter aber nichts daran, dass die Ermittlungen nur unzureichend durchgeführt worden seien. Sie kritisierte das lückenhafte Videomaterial und dass für das Fehlen einiger - möglicherweise entscheidender - Sequenzen keine vernünftige Erklärung vorgebracht worden sei. Gerade weil es an einer für die Betroffenen des Einsatzes erkennbaren Kennzeichnung der Beamten gefehlt habe, sei es aber wichtig, so die Kammer, dass andere Maßnahmen zur Identitätsfeststellung und Sachverhaltsaufklärung ergriffen würden.
Art. 3 EMRK durch Verfahrensfehler verletzt
Auch seien nicht alle an dem Einsatz beteiligten Beamten befragt worden. Die Polizisten, welche für die Videoaufzeichnung zuständig waren, seien erst nach der Wiedereröffnung des Verfahrens 2008 befragt worden und niemand habe den Versuch unternommen, den Sanitäter zu ermitteln, der einen er Antragsteller behandelt haben soll, so der EGMR.
Art. 3 EMRK kann nach Auslegung des Gerichtshofs nicht nur durch unmittelbare körperliche Übergriffe, sondern auch durch mangelhafte Ermittlungen solcher verletzt werden. Hier liege eine verfahrensrechtliche Verletzung von Art. 3 EMRK vor, stellten die Richter fest. Aus diesem Grund sprachen sie beiden Beschwerdeführern eine Entschädigung in Höhe von je 2.000 Euro für nicht monetäre Schäden und rund 6.500 Euro für Verfahrenskosten zu.
Die Vertreterin eines der beiden Fußballfans, Dr. Anna Luczak, erklärte, der EGMR habe damit klargestellt, "dass endliche alle Polizeieinheiten in Deutschland eine Kennzeichnung einführen müssen". Der andere Beschwerdeführervertreter Marco Noli forderte, dass Ermittlungen in Fällen von Polizeigewalt künftig von unabhängigen Stellen durchgeführt werden müssten, um "solche Auswüchse", wie die Verwaltung von Beweisvideos durch die Beschuldigten selbst, zu verhindern. Was genau sich am 9. Dezember 2007 im Grünwalder Stadion zutrug, wird aber wohl weiterhin im Dunkeln bleiben.
Maximilian Amos, EGMR rügt Überprüfung von Einsatz nach Fußballspiel: . In: Legal Tribune Online, 09.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25453 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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