Die Union appelliert an den Bundespräsidenten, das Cannabisgesetz nicht auszufertigen. Das könnte er nur bei durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Da Frank-Walter Steinmeier im Urlaub ist, hat Manuela Schwesig das letzte Wort.
Es ist die vielleicht letzte Hoffnung der Union: Der Bundespräsident könnte theoretisch Zweifel haben, dass das am Freitag vom Bundesrat durchgewunkene Cannabisgesetz (CanG) formell verfassungsrechtlich nicht korrekt zustande gekommen ist oder in materieller Hinsicht gegen das Grundgesetz (GG) verstößt. Nach Auskunft des stellvertretenden Sprechers des Bundespräsidenten Alessandro Peduto gegenüber LTO wird das Gesetz aktuell noch im Präsidialamt verfassungsrechtlich überprüft. Soll das Gesetz wie geplant zum 1. April in Kraft treten, müsste diese Prüfung jedoch noch in dieser Woche, möglichst bis Mittwoch, abgeschlossen sein.
Das Recht und die Pflicht des Bundespräsidenten, ein Gesetz vor der Ausfertigung verfassungsrechtlich zu überprüfen, ist Teil des Gesetzgebungsverfahrens. Grundlage für das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten ist Art. 82 GG. Nach der Staatspraxis und der herrschenden Meinung umfasst das darin verankerte Prüfungsrecht sowohl formelle Gesichtspunkte (Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften) als auch materielle Fragen (Grundrechte, Staatszielbestimmungen, Staatsorganisationsrecht).
Nachdem der Bundesrat nunmehr am Freitag den Weg für eine teilweise Legalisierung von Cannabis in Deutschland freigemacht und eine Anrufung des Vermittlungsausschusses abgelehnt hat, war die Enttäuschung bei Politikern der Union riesengroß. Um das Vorhaben auf den letzten Metern vielleicht doch noch zu stoppen, hatte der gesundheitspoltische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Tino Sorge daraufhin Bundespräsident Frank-Walter Steinmier aufgefordert, das Cannabisgesetz (CanG) nicht zu unterzeichnen.
CDU sieht "erhebliche Verfahrensfragen"
"Das Gesetz sollte nach der chaotischen Debatte der letzten Wochen vorerst gestoppt werden", sagte der CDU-Politiker am Wochenende dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Wir appellieren an den Bundespräsidenten, das Cannabisgesetz nicht zu unterzeichnen", so Sorge. Zu groß sei "die einstimmige Kritik sämtlicher Justiz- und Innenminister der Länder".
LTO fragte am Montag bei dem CDU-MdB nach, wo denn konkret die verfassungsrechtlichen Bedenken liegen. Sorge, selbst Volljurist, verwies dabei auf "äußerst kurze Fristen zwischen der politischen Einigung innerhalb der Koalition, dem Versand des finalen Gesetzespakets an die anderen Bundestagsfraktionen und dem Beschluss im Plenum". Diese würden erhebliche Verfahrensfragen aufwerfen.
"Das Prüfungsrecht des Bundespräsidenten ist ein zentraler Pfeiler im Gesetzgebungsprozess des Bundes. Bei manchen Gesetzen dauern die gründliche Prüfung und Ausfertigung durch Frank-Walter Steinmeier Wochen oder gar Monate. Bei der Cannabis-Freigabe aber hat Ampel mit dem 1. April kaum Zeit zur notwendigen Prüfung vorgesehen. Sie setzt den Bundespräsidenten unter Zugzwang", so der CDU-Politiker. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas habe schließlich bereits in der Vergangenheit angemahnt, die Ampel-Koalition möge die üblichen Fristen einhalten und den Parlamentariern die nötige Zeit zur inhaltlichen Befassung lassen.
"Bundespräsident soll Regierung zur Ordnung rufen"
Beim CanG kommt nun laut MdB Sorge auf die Länder innerhalb kürzester Zeit "erheblicher Aufwand" zu. "Lässt sich ein Gesetz aufgrund seines grundlos übereilten Inkrafttretens faktisch kaum vollstrecken, wäre das ein Grund für den Bundespräsidenten, die Regierung zur Ordnung zu rufen." Außerdem, so der CDU-Poltiker, müssten die vielen rechtlichen Zweifel, die das Cannabisgesetz seitens externer Experten und nicht zuletzt der Innen- und Justizminister der Länder hervorgerufen hat, vor dem Inkrafttreten ausgeräumt werden.
"Insbesondere hinsichtlich der Prüfung möglicher völker- oder europarechtlicher Verstöße muss der Bundespräsident sich die nötige Zeit zur eingehenden Prüfung nehmen. Es kann nicht zur Gewohnheit werden, dass innerhalb einer Woche und im Hauruckverfahren unterzeichnet wird, nur damit ein Wunschtermin für das Inkrafttreten gesichert bleibt."
Hauruckverfahren hin oder her – in materieller Hinsicht dürfte das CanG bei den Juristen im Präsidialamt wohl keine verfassungsrechtlichen Bedenken hervorrufen. Schließlich hatte selbst das Bundesverfassungsgericht in seiner letzten Cannabis-Entscheidung im Juni 2023 mit Blick auf eine Entkriminalisierung ausdrücklich auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers hingewiesen und klargestellt, dass die Entscheidung über strafwürdiges Verhalten in besonderem Maß dem demokratischen Entscheidungsprozess überantwortet sei.
BVerfG: "Entscheidung des Gesetzgebers respektieren"
"Es ist eine grundlegende, dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber übertragene Entscheidung, in welchem Umfang und in welchen Bereichen ein politisches Gemeinwesen gerade das Mittel des Strafrechts als Instrument sozialer Kontrolle einsetzt." Das Bundesverfassungsgericht habe diese Entscheidung grundsätzlich zu respektieren. Es könne sie nicht darauf prüfen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden habe. "Es hat lediglich darüber zu wachen, dass die Strafvorschrift materiell in Einklang mit den Bestimmungen der Verfassung steht und den ungeschriebenen Verfassungsgrundsätzen sowie Grundentscheidungen des Grundgesetzes entspricht."
An diesen Prüfungsmaßstab müsste sich nun auch der Bundespräsident bzw. die Präsidentin des Bundesrates, Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), halten. Schwesig vertritt auf Grundlage von Art. 57 GG Frank-Walter Steinmeier, der sich aktuell im Osterurlaub befindet. Sie müsste auch die Ausfertigung des CanG übernehmen.
Zwar ist Schwesig nicht als glühende Legalisierungsbefürworterin bekannt. Dass sie aber das Inkraftreten des CanG im Zweifel entgegen der Meinung der Juristen des Präsidialamtes auf die lange Bank schiebt, gilt als sehr unwahrscheinlich. "Eine rechtzeitige Ausfertigung des Gesetzes bis zum geplanten Inkrafttreten zum 1. April ist nach derzeitigem Stand gewährleistet", so Steinmeiers Pressesprecher Peduto.
Union kritisiert "Hauruckverfahren" beim Cannabisgesetz: . In: Legal Tribune Online, 25.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54202 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag