Nach der Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten warnen immer mehr Landesminister davor, nun auch noch im Straßenverkehr für liberalere Verhältnisse zu sorgen. Der DAV hält die Vorbehalte für nicht nachvollziehbar.
Seit dem 1. April sind Besitz und Anbau von Cannabis für über 18-Jährige zu bestimmten Regeln auf der Grundlage des Cannabisgesetzes (CanG) erlaubt. Was allerdings noch nicht eingetreten ist, ist eine Liberalisierung der Rechtslage für Cannabiskonsumenten im Straßenverkehr. Noch gilt hier ein überaus strenger Grenzwert von 1,0 Nanogramm Tetrahydrocannabinol (THC) pro Milliliter Blutserum.
Nicht nur nach Einschätzung des Deutschen Verkehrsgerichtstages sei der Wert viel zu niedrig, weil er zwar den Nachweis des Cannabiskonsums ermögliche, aber nicht zwingend einen Rückschluss auf eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung zulasse.
Und so hat die Ampel nun im Zuge der Beratungen des CanG versprochen, den Wert auf Basis eines Vorschlags einer im Bundesverkehrsministerium (BMDV) angesiedelte Expertengruppe anzuheben. Die unabhängigen Experten aus den Bereichen Medizin, Recht und Verkehr hatten Ende März 3,5ng als neuen Richtwert empfohlen und dabei eingeräumt, dass selbst dieser Wert "konservativ" gewählt sei und vom Risiko her in etwa mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille vergleichbar sei.
Grüne: "Schnellstmöglich das Straßenverkehrsgesetz ändern"
Nichtsdestotrotz ist man in den Ampelfraktionen gewillt, dem Vorschlag zu folgen. So bewertete etwa Swantje Michaelsen, Berichterstatterin für Verkehrssicherheit von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestagsverkehrsausschuss, 3,5ng sei ein gutes Ergebnis. "Wir werden jetzt schnellstmöglich das Straßenverkehrsgesetz entsprechend ändern."
Obwohl also für Cannabis-Konsumenten im Verhältnis zu Alkohol-Konsumenten auch in Zukunft strengere Regeln gelten sollen, laufen diverse Landesinnenminister Sturm gegen die geplante Anhebung. Nach Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben sich auch Hamburg und Schleswig-Holstein gegen eine Anhebung des THC-Grenzwerts im Straßenverkehr ausgesprochen. Das schleswig-holsteinische Ministerium für Wirtschaft und Verkehr teilte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit: "Das oberste Gebot muss immer die Verkehrssicherheit sein. Die Landesregierung Schleswig-Holstein hat sich eindeutig zur Vision Zero bekannt. Eine Erhöhung des Grenzwerts wirkt da kontraproduktiv."
Das Ministerium sprach sich außerdem für ein absolutes Cannabis-Verbot für Fahranfänger sowie Fahrzeugführer von Gefahrguttransporten aus. "Hier gilt eine 0,0-Promille-Grenze, eine Null-Toleranz bei Cannabis fehlt im bisherigen Gesetzentwurf."
Auch die Hamburger Behörde für Inneres und Sport kritisierte die Anhebung des strafrechtlich relevanten THC-Grenzwerts. "Eine Grenzwerterhöhung vermittelt Konsumenten, dass auch regelmäßiger Konsum einer Teilnahme am Straßenverkehr nicht entgegensteht. Das Gegenteil ist der Fall", teilte die Behörde mit. Die Institution forderte stattdessen, den aktuellen THC-Grenzwert von 1,0ng beizubehalten.
DAV: "Mit Rausch hat 3,5ng nichts zu tun"
Mit Unverständnis auf die Kritik aus den Ländern reagierte am Mittwoch der Deutsche Anwaltverein (DAV) in einem Statement. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer und Leiter Poltische Kommunikation und Medien des DAV, Swen Walentowski, warf den Ländern Ahnungslosigkeit vor: "Die politische Diskussion ist derzeit von wenig Wissen, dafür umso mehr Vorurteilen geprägt – und sie ist nur für diejenigen 'übereilt', die sich mit dem Thema bisher nicht befasst haben", so Walentowski.
"3,5 mag als reine Zahl nach einem hohen Wert klingen, wenn man bisher nur mit Promille-Werten hantiert hat. Tatsächlich entspricht diese THC-Konzentration aber einer Blutalkohol-Konzentration von 0,2 Promille – also ungefähr dem Zustand nach einem kleinen Glas Wein zum Essen. Mit Rausch hat das nicht viel zu tun", erklärte der Rechtsanwalt. Walentowski zufolge sollten die Länder aufhören, "moralisierend zwischen vermeintlich guten und bösen Rauschmitteln zu unterscheiden, und vielmehr auf die Beurteilung derer vertrauen, die sich damit auskennen". Der vorgeschlagene Wert der Kommission sei konservativ, aber zielführend, "um nicht massenweise nüchterne Fahrer:innen zu bestrafen, deren Konsum Tage zurückliegt".
StVG-Änderung zustimmungspflichtig?
Unterdessen hat der bayerische Innminister Joachim Herrmann (CSU) bereits Widerstand gegen einen höheren Grenzwert angekündigt. Herrmann steht auf dem Standpunkt, die im StVG notwendig werdende Änderung bedürfe wegen ihrer Tragweite auch der Zustimmung der Länder im Bundesrat. Eine Position, die die Ampel nicht teilt: "Die Festsetzung eines möglichen Grenzwertes direkt per Gesetz bedarf aus unserer Sicht keiner expliziten Zustimmung des Bundesrates", hatte die SPD-Rechtspoltikerin Carmen Wegge MdB kürzlich gegenüber LTO mitgeteilt. Die SPD-Abgeordnete verwies darauf, dass die für den Grenzwert maßgeblichen Vorschrift im StVG (§ 24a Abs. 2 und 3) seinerzeit bereits durch ein bloßes Einspruchsgesetz (BT-Drs. 13/8979, S. 6; BT-Drs. 13/3764, S. 9) zustande gekommen war.
THC gilt als die psychoaktive Substanz des Hanfs und macht den Hauptteil der berauschenden Wirkung aus. Der Grenzwert dient als Nachweis für eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit im Zusammenhang mit dem Cannabiskonsum. Wer ihn überschreitet und in eine Polizeikontrolle gerät, riskiert empfindliche Sanktionen. So ist nach § 24a StVG mit mindestens 500 Euro Bußgeld, Fahrverbot, Punkten in Flensburg und – wenn es ganz übel kommt – auch mit dem Entzug der Fahrerlaubnis zu rechnen.
Wann die Ampelkoalition im Übrigen die Änderung des StVG angeht, ist zeitlich noch nicht ganz klar. "Wir sind aktuell in Gesprächen mit allen Beteiligten in den Fraktionen und im Ministerium und besprechen gemeinsam, wie der Prozess schnell vorangebracht werden kann, erklärte Grünen-Verkehrspolitikerin Michaelsen am Mittwoch gegenüber LTO.
Mit Material von dpa
Streit um höheren Cannabis-Grenzwert im Straßenverkehr: . In: Legal Tribune Online, 10.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54304 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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