Wegen Betätigung für Identitäre Bewegung: Bun­des­wehr­soldat ver­liert Dienst­grad und Bezüge

von Dr. Max Kolter

27.08.2024

Wer als Soldat den Ethnopluralismus unterstützt, verstößt gegen die Pflicht zur Verfassungstreue, so das BVerwG. Ob sich das Urteil verallgemeinern lässt, ist unklar. Ein neues Gesetz soll die Entlassung von Extremisten beschleunigen.

Deutsche Soldaten müssen die freiheitliche demokratische Grundordnung anerkennen und durch ihr "gesamtes Verhalten für ihre Einhaltung eintreten". So bestimmt es § 8 Soldatengesetz (SG). Diese Pflicht zur Verfassungstreue verletze, wer sich in Deutschland für die Identitäre Bewegung betätigt, entschied der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) mit am Dienstag veröffentlichtem Urteil (v. 19.04.2024, Az. 2 WD 9.23). 

Damit wiesen die Leipziger Richter die Berufung eines früheren Oberleutnants der Reserve gegen ein Urteil des Truppendienstgerichts zurück. Sie bestätigten die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme gegen ihn. Diese beinhaltet bei einem inzwischen ausgeschiedenen Zeitsoldaten den Verlust noch offener Übergangsleistungen. Der Soldat war 2018 suspendiert worden, 2019 aus dem Dienst ausgeschieden und ist nicht mehr berechtigt, einen militärischen Dienstgrad zu führen. Bis März 2021 hatte er Übergangsgebührnisse erhalten, die Übergangsbeihilfe von insgesamt gut 23.000 Euro wurde einbehalten. Die Übergangsbeihilfe wird als einmalige Leistung zusätzlich zu den monatlichen Übergangsgebührnissen ausgezahlt. Sie entspricht einer Art “Abfindung” für Zeitsoldaten. Sie nach der Entlassung zu streichen, hielt das BVerwG für angemessen. 

In seinem Urteil würdigt das Gericht ausführlich die ideologische Ausrichtung der Identitären Bewegung sowie das Engagement des früheren Bundeswehrsoldaten und seine Kontakte in die neurechte Szene. Der Mann hatte sich laut Gericht im Jahr 2015/2016 aktiv für die Identitäre Bewegung Deutschland e.V. engagiert. "Er wirkte beim Aufbau einer Regionalgruppe in Bayern, bei mehreren Demonstrationen und in einem Werbefilm der Identitären Bewegung mit", heißt es in einer Mitteilung des Gerichts vom Dienstag. Daher ist fraglich, welche Schlussfolgerungen aus der Entscheidung, welcher – wie in solchen Fällen üblich – eine nicht-öffentliche Verhandlung vorausgegangen war, für rechtsextreme Soldaten allgemein gezogen werden können. 

"Remigration" und Ethnopluralismus 

Der Verfassungsschutz stuft die Identitäre Bewegung Deutschland seit 2019 als gesichert rechtsextremistisch ein. Die Beobachtung als Verdachtsfall begann bereits 2016 – und auch der 2. Wehrdienstsenat des BVerwG hält nun fest, dass die Identitären "bereits 2015/2016 verfassungswidrige Ziele" verfolgten. Ihre "weltanschauliche Ausrichtung ist […] seit der Vereinsgründung im Jahr 2012 im Wesentlichen konstant", teilt das Gericht mit.

Die Bewegung sei "in zweierlei Hinsicht mit den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar".  

Erstens erachte sie nicht alle deutschen Staatsbürger als gleichwertig. Stattdessen nehme sie "eine gleichheitswidrige Unterscheidung in Deutsche 'erster' und 'zweiter Klasse'" vor. Maßgeblich dafür sei die "ethnisch-kulturelle Identität einer Person". In diesem Zusammenhang spielt auch das Konzept der "Remigration" eine Rolle. Der Gründer der Identitären Bewegung Österreich, Martin Sellner, beschreibt dieses in seinem gleichnamigen, 2024 erschienenen Buch als politisches Ziel, das dadurch erreicht werden soll, dass bestimmte Personen durch Druck und "maßgeschneiderte Gesetze" dazu gebracht werden, in ihre "Heimatländer" zurückzukehren. Adressiert sind dabei auch nicht assimilierte deutsche Staatsbürger. Das Remigrationskonzept der Identitären Bewegung basiert laut BVerwG auf der Ideologie des Ethnopluralismus, wonach Angehörige verschiedener Ethnien jeweils in ihrem Staatsgebiet leben bzw. dahin zurückkehren sollen. 

BVerwG: "Identitäre" wollen Parteien und Parlament abschaffen

Zur Begründung dafür, dass diese Positionen gegen "ein Kernelement des grundgesetzlichen Demokratieprinzips" verstoßen, weil der Anspruch auf politische Teilhabe von ethnischer Herkunft abhängig gemacht wird, stellt das BVerwG auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Januar 2024 (Az. 2 BvB 1/19) ab. Hier erklärte das Karlsruher Gericht den Ausschluss der Partei "Die Heimat" (vormals NPD) von der staatlichen Parteienfinanzierung für verfassungsmäßig; LTO berichtete. Die "Identitären" teilen die ethnopluralistische Ideologie laut BVerwG mit der "Heimat". Auch der Verfassungsschutz begründet ihre Einstufung als gesichert rechtsextremistisch damit. 

Zweitens steht die Identitäre Bewegung "für ein identitäres Demokratieverständnis im Sinne Carl Schmitts", in welchem "Parlamentarismus und Mehrparteiensystem diskreditiert und abgelehnt" werden. Gehe es nach dem Willen der Identitären, so würden Parteien und Parlament abgeschafft.

Darin sieht das Leipziger Gericht einen "klaren Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung". Diese verbiete zwar nicht, repräsentative Demokratie durch direkte Demokratie zu ersetzen. "Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt jedoch, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen werden soll." Auch insofern nimmt das BVerwG Bezug auf das BVerfG-Urteil vom Januar zur Parteienfinanzierung. 

BVerwG: Soldat war "gut informierter Insider" 

Anschließend setzt sich das BVerwG mit der Frage auseinander, inwiefern der Oberleutnant der Reserve diese ideologische Ausrichtung der "Identitären" kannte und teilte. Für die Bemessung der angemessenen Disziplinarsanktion hält das Gericht unter anderem für relevant, ob sich der Soldat aus Überzeugung in verfassungsfeindlicher Weise betätigt.

Dafür sprachen hier nach Auffassung des 2. Wehrdienstsenats die engen Kontakte des Mannes in die neurechte Szene. Schon während seines Studiums sei er mit Vertretern der Neuen Rechten vernetzt gewesen, habe in der von Götz Kubitschek, dem Mitbegründer der Identitären Bewegung Deutschlands, herausgegebenen Zeitschrift "Sezession" veröffentlicht und den damaligen stellvertretenden Vorsitzenden der Identitären gekannt. Dass er sich mit diesem für die Aufnahme eines Werbefilms zuhause getroffen habe, “rundet das Bild des gut informierten Insiders ab”, heißt es in dem Urteil. 

Auf dieser Grundlage resümierte das BVerwG durchaus vorsichtig, dass im Fall des Oberleutnants von einer "zumindest bedingt vorsätzlichen verfassungswidrigen Betätigung auszugehen" sei. 

Dass die verfassungswidrige Betätigung "von innerer Überzeugung getragen" sei, berechtige nach der eigenen Rechtsprechung im Regelfall zur Verhängung der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme, so der 2. Wehrdienstsenat. Einen Grund, davon ausnahmsweise abzuweichen, sah das Gericht nicht. 

Neues Gesetz soll Entlassung von Extremisten erleichtern 

Welche verallgemeinerungsfähigen Rückschlüsse aus dem Urteil des BVerwG zu ziehen sind, ist unklar. Können disziplinarrechtliche Höchstmaßnahmen auch dann gerechtfertigt sein, wenn ein Soldat sich für eine rechtsextreme Organisation einsetzt, ohne bereits im Studium Kontakte zu führenden Neurechten unterhalten zu haben? Wenn nicht, welche geringfügigeren Disziplinarmaßnahmen wären zulässig? 

Klar ist: Nach derzeitiger Rechtslage braucht es ein gerichtliches Disziplinarverfahren, um Berufs- oder Zeitsoldaten mit einer Dienstzeit von mehr als vier Jahren aus der Bundeswehr zu entfernen. Das dauert nach Angaben der Bundesregierung durchschnittlich vier Jahre. 

Das soll sich künftig ändern. Das Bundesverteidigungsministerium veröffentlichte im August 2023 einen Gesetzentwurf, wonach die Bundeswehr auch einen Berufssoldaten entlassen kann, "wenn er als Einzelperson in schwerwiegender Weise Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind" (§ 46 Abs. 2a Nr. 1 lit. a SG n.F.). Die Möglichkeit steht unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass der Verblieb im Dienstverhältnis "die militärische Ordnung oder das Vertrauen der Allgemeinheit in die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr ernstlich gefährden würde" (§ 46 Abs. 2a Nr. 2 SG n.F.). Für Zeitsoldaten gilt die Regelung entsprechend, unabhängig von der Dienstzeit (§ 55 Abs. 1 S. 1 SG n.F.); eine vereinfachte Entlassung innerhalb der ersten vier Dienstjahre bleibt möglich (§ 55 Abs. 5 SG).

Das im November vom Bundestag beschlossene Gesetz (Drucksache 20/8672) soll die Entfernung von Extremisten aus dem Wehrdienst für die genannten Soldatengruppen beschleunigen. Da gegen den Verwaltungsakt der Entlassung allerdings auch der (Verwaltungs-) Rechtsweg eröffnet ist, äußerte Simon Gauseweg im September auf LTO Zweifel, dass dieses Ziel erreicht wird

Zitiervorschlag

Wegen Betätigung für Identitäre Bewegung: . In: Legal Tribune Online, 27.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55280 (abgerufen am: 01.09.2024 )

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