In einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss hat das BVerfG in drei miteinander verbundenen Verfahren über die Anwendung und Auslegung des Tatbestandes der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebotes des Art. 103 Abs. 2 GG entschieden.
In den vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entschiedenen Verfahren waren die Beschwerdeführer jeweils wegen Untreue zu Bewährungsstrafen verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte ihre Verurteilungen zumindest im Schuldspruch bestätigt.
Der Beschwerdeführer im ersten Verfahren verwaltete als Bereichsvorstand der Fa. Siemens AG Gelder auf "schwarzen Kassen", entzog diese so dem Zugriff der zuständigen Unternehmensorgane und verwendete sie später zu Bestechungszwecken.
Im zweiten Verfahren war der Beschwerdeführer Vorstand einer Betriebskrankenkasse und schädigte deren Vermögen dadurch, dass er Angestellten der Krankenkasse in Überschreitung des ihm zustehenden
Entscheidungsspielraums über mehrere Jahre hinweg zusätzlich zu deren Gehalt und der Vergütung geleisteter Überstunden Prämien in erheblicher Höhe bewilligte.
Die Beschwerdeführer im dritten Verfahren waren Vorstandsmitglieder der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank AG. Das Gericht hatte ihnen zur Last gelegt, unter Verletzung ihrer der Bank gegenüber bestehenden Informations- und Prüfungspflichten einen unzureichend gesicherten Kredit für die Anschaffung und Modernisierung von Plattenbauwohnungen über knapp 20 Millionen DM bewilligt und ausgezahlt zu haben.
Bestimmtheitsgebot im Fall der Berliner Banker verletzt
Der Zweite Senat des BVerfG hat die gegen die Verurteilungen gerichteten Verfassungsbeschwerden im Fall Siemens und der Betriebskrankenkasse zurückgewiesen, im dritten Fall jedoch den Beschluss des BGH und das Urteil des LG Berlin wegen Verletzung des Rechts der Berliner Banker aus Art. 103 Abs. 2 GG aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen (Beschl. v. 23.06.2010, Az. 2 BvR 2559/08, 2 BvR 105/09, 2 BvR 491/09).
Nach Ansicht des Senats ist die Rechtsprechung gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (Präzisierungsgebot). Aufgrund des in Art. 103 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden strengen Gesetzesvorbehalts ist die Kontrolldichte des BVerfG bezüglich der Rechtsanwendung durch die Fachgerichte im Bereich des materiellen Strafrechts erhöht.
In dem Berliner Fall verletzen die Entscheidungen des LG und des BGH das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Denn die Gerichte gingen von einem Vermögensschaden aus, obwohl keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende, wirtschaftlich nachvollziehbaren Feststellungen zu einem Nachteil getroffen wurden, der durch die pflichtwidrige Kreditvergabe der Beschwerdeführer verursacht worden sein könnte.
Dass nach der Bewertung des BGH die als Vorstandsmitglieder verantwortlichen Beschwerdeführer ein allzu großes Risiko eingegangen sind, indem sie die Kreditgewährung für das Gesamtkonzept pflichtwidrig unter Vernachlässigung anerkannter deutlicher Risiken und Negierung vielfältiger Warnungen fortsetzten, ersetzt nicht die Feststellung eines konkreten Schadens. Dieses Verfahren wurde daher an das LG zurückverwiesen.
BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 11.08.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1181 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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