Mündliche Verhandlung am BVerfG: Wer zahlt die Strom­p­reis­b­remse?

von Dr. Christian Rath

24.09.2024

Das Bundesverfassungssgericht verhandelte an diesem Dienstag über eine Klage von 22 Ökostromerzeugern, deren "Zufallsgewinne" abgeschöpft wurden. Sie halten dies für eine unzulässige Sonderabgabe. Christian Rath hat die Verhandlung verfolgt.

Die Strompreisbremse war vom Bundestag im Dezember 2022 beschlossen worden, nachdem im Laufe des Jahres 2022 der Strompreis massiv angestiegen war. Hauptgrund hierfür war die gezielte Verknappung der Gaslieferungen durch Russland. Bürger:innen und Wirtschaft drohte ein klammer Winter. Neben dem normalen Bedarf trat auch der Staat massiv als zusätzlicher Nachfrager auf. Er wollte die Speicher füllen, um weniger erpressbar zu sein.

Die gestiegenen Gaspreise schlugen über die Gaskraftwerke direkt auf den Strommarkt durch. Nach dem Prinzip der "merit order" gilt der Preis des teuersten benötigten Kraftwerks für alle Stromlieferanten. Aber auch der Ausfall von rund der Hälfte der französischen AKW trieb 2022 den Strompreis. Auf dem Spotmarkt der Strombörsen hatte sich der Preis binnen eines Jahres verfünffacht, in Spitzen sogar verzehnfacht.

Im Oktober 2022 beschloss die EU eine Notfall-Verordnung zur Senkung der hohen Energiepreise (EU-VO 2022/1854). Sie sah auch eine Abschöpfung von "Überschusserlösen" bei den Produzenten von erneuerbaren Energien sowie Atom- und Braunkohlestrom vor. Denn diese profitierten massiv von den hohen Strompreisen, ohne dass sich ihre Produktionskosten erhöht hatten. Im Detail wurden den EU-Staaten bei der Umsetzung der Verordnung aber viel Spielraum gelassen.

43 Milliarden Volumen geplant

Der Bundestag beschloss Ende Dezember 2022 das deutsche Strompreisbremsegesetz. Insgesamt hatte der Bund dabei 43 Milliarden Euro für die Eindämmung der Strompreise eingeplant. Zur Finanzierung sah das Gesetz vor, dass bis Juni 2023 sieben Monate lang 90 Prozent der "Zufallsgewinne" der Energieerzeuger abgeschöpft werden, insgesamt rund 13,5 Milliarden Euro. Der Rest des Geldes sollte aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), einem Sondervermögen des Bundes, fließen.

Tatsächlich entwickelte sich die Lage dann aber besser als erwartet. Weil im zahlungsbereiten Europa nun plötzlich sehr viel Flüssiggas angeliefert wurde, sanken die Erdgaspreise und bald auch die Strompreise wieder. Insgesamt musste der Bund deshalb nur 16,3 Milliarden Euro für die Strompreisbremse aufwenden, die im Dezember 2023 auslief. Die Abschöpfung bei den Strom-Unternehmen beschränkte sich sogar auf 750 Millionen Euro.

Verfassungsbeschwerden der Ökostrom-Erzeuger

Die Ökostrom-Erzeuger hatten aber bereits Anfang 2023 geklagt. 22 Unternehmen - vom Lichtblick Solarpark Calbe über das Holzenergiewerk Melsungen bis zum Enova Windpark Gehrde – verteilten sich auf zwei Verfassungsbeschwerden (Az.: 1 BvR 460/23 und 1 BvR 611/23). Trotz der unerwartet geringen Abschöpfung hielten sie ihre Verfassungsbeschwerden aufrecht; die Rechtsfrage habe grundsätzliche Bedeutung.

Die Kläger halten es für verfassungswidrig, dass Kraftwerksbetreiber zur Mitfinanzierung der Strompreisbremse herangezogen wurden. Diese Leistung an Verbraucher:innen und Unternehmen liege im gesamtgesellsachftlichen Interesse und müsse deshalb ausschließlich aus dem allgemeinen steuerfinanzierten bezahlt werden, argumentierte Rechtsanwalt Christian von Hammerstein.

Die Abschöpfung der Überschusserlöse sei eine "Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion", deren verfassungsrechtliche Bedingungen jedoch nicht erfüllt seien. "Weder sind die Ökostromproduzenten für den Anstieg der Strompreise verantwortlich noch wurden die Einnahmen gruppennützig verwendet", so von Hammerstein. Der verfassungswidrige Eingriff verletze die Berufsfreiheit der Kläger.

Nach Ansicht der Bundesregierung handelt es sich bei der Abschöpfung der Zufallsgewinne jedoch gar nicht um eine Sonderabgabe, so dass auch deren hohe rechtliche Hürden nicht relevant seien. Denn die abgeschöpften Millionen flossen nicht an den Staat, sondern in einem "privatwirtschaftlichen Wälzungsmechanismus" nur an die Netzbetreiber, die das Geld dann verwalteten und verrechneten. Es handele sich vielmehr um eine normale "Preis- und Erlösregelung", so Ministerialdirektor Philipp Steinberg aus dem Klimaministerium (BMWK), die auch verhältnismäßig sei.

Christian Ewalt, Direkter am Bundeskartellamt, sah die Abschöpfung der Überschussgewinne schlicht als Maßnahme der "Umverteilung" von Unternehmensgewinnen zu Verbrauchervorteilen.

Umgehung der rechtlichen Anforderungen?

Kläger-Anwalt von Hammerstein sah in diesen Ausführungen nur Ausflüchte. Der Bund habe die privatwirtschaftliche Konstruktion gezielt gewählt, um den Charakter einer Sonderabgabe zu verschleiern. Bei der im Dezember 2022 parallel beschlossenen Gaspreisbremse sei schließlich mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) auch ein staatlicher Akteur genutzt worden.

Das ließ Regierungs-Vertreter Steinberg aber nicht gelten. Da es bei der Gaspreisbremse keine Abschöpfung von Gewinnen gab, sei die Abwicklung dort deutlich einfacher gewesen. Bei der Strompreisbremse habe man dagegen auf bewährte Strukturen der EEG-Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energien setzen können.

Und dann wurde der Ministerialdirektor sogar emotional: "Wir haben damals Tag und Nacht Maßnahmen ergriffen, um die Energieversorgung Deutschlands sicherzustellen, und dabei haben wir an sehr vieles gedacht, aber nicht daran, eine Sonderabgabe oder eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht zu vermeiden!"

BVerfG-Präsident Stephan Harbarth, der die Sitzung leitete, schmunzelte und merkte an, dass es immer sinnvoll sei, das Bundesverfassungsgericht nicht zu vergessen. 

Rechtsanwalt Holger Schmitz, der die Bundesregierung vertrat, räumte darauf hin ein, dass man sich durchaus verfassungsrechtliche Gedanken gemacht habe. "Wir haben zum Beispiel gezielt auf eine Rückwirkung bei der Abschöpfung der Überschusserlöse verzichtet, um das nicht in Karlsruhe diskutieren zu müssen."

Grundsätzliche Bedeutung

Für Christian von Hammerstein geht es in diesem Rechtsstreit auch um die Frage, womit Investoren in Deutschland rechnen müssen. "Wenn das Schule macht, dass man einfach neuartige Instrumente erfindet, um vermeintlich unangemessene Gewinne abzuschöpfen, dann wird niemand mehr in Deutschland investieren."

Christian Ewald vom Bundeskartellamt sah ein ganz anderes Signal an Investoren: "Wenn es in Deutschland eine Abschöpfung von Gewinnen gibt, dann ist sie sehr moderat." Alexander Lüdtke-Handjery von der Bundesnetzagentur bestätigte dies: "Im Vergleich zu anderen EU-Staaten ist die Bundesregierung minimalinvasiv vorgegangen."

Die Verhandlung befasste sich vor allem mit technischen Fragen des Strommarkts. Über Verfassungsfragen wurde relativ wenig diskutiert. "Hierzu haben wir keinen weiteren Erörterungsbedarf", sagte Harbarth und schloss die Verhandlung.

Das Urteil wird in einigen Monaten verkündet.

Zitiervorschlag

Mündliche Verhandlung am BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 24.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55489 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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