BVerfG erklärt bayerisches Gesetz für verfassungswidrig: Auch Nicht-EU-Ausländern steht Landeserziehungsgeld zu

08.03.2012

Die Karlsruher Richter haben mit am Donnerstag bekannt gewordenen Beschluss entschieden, dass die Regelung im Landeserziehungsgeldgesetz nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist, weil sie Personen, die nicht eine der dort genannten Staatsangehörigkeiten besitzen, ohne sachlichen Grund generell vom Anspruch auf Förderung ausschließt.

Nach Ansicht des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verstößt die Regelung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Landeserziehungsgeldgesetz (BayLErzGG) gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, weil es an einem legitimen Gesetzeszweck fehlt, der die Benachteiligung der nicht erfassten ausländischen Staatsangehörigen rechtfertigen könnte.

Die Gewährung von Erziehungsgeld ziele vor allem darauf, den Eltern die eigene Betreuung ihres Kindes durch Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit oder durch deren Einschränkung zu ermöglichen und damit die frühkindliche Entwicklung zu fördern. Dieser Gesetzeszweck decke den in der vorgelegten Norm geregelten Leistungsausschluss aber nicht, da er bei ausländischen Staatsangehörigen und ihren Kindern auf gleiche Weise wie bei Deutschen zum Tragen kommt. Der verfassungsrechtliche Schutz der Familie sei nicht auf Deutsche beschränkt (Beschl. v. 07.01.2012, Az. 1 BvL 14/07).

Der Freistaat Bayern führte 1989 das Landeserziehungsgeld ein, das im Anschluss an den Bezug des Bundeserziehungsgeldes gewährt wird und es Eltern ermöglichen soll, über einen längeren Zeitraum Elternzeit zu nehmen und ihre Kinder selbst zu betreuen. Nach dem BayLErzGG in seiner hier maßgeblichen Fassung des Jahres 1995 wurde das Landeserziehungsgeld nach dem Bezug des Bundeserziehungsgeldes grundsätzlich für weitere zwölf Lebensmonate des Kindes in Höhe von 500 DM monatlich gewährt. Bezugsberechtigt war gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG nur, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (EU) oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besaß.

Eine polnische Staatsangehörige begehrte im Jahr 2000 und damit vor dem Beitritt Polens zur EU erfolglos Landeserziehungsgeld für die Betreuung ihres Kindes. Die klagende Mutter wohnt seit 1984 in Bayern und hat seit 1988 wiederholt gearbeitet. Ihr Antrag auf Landeserziehungsgeld wurde zurückgewiesen, weil ihr aufgrund ihrer polnischen Staatsangehörigkeit ein solches nicht zustehe. Ihre hiergegen erhobene Klage führte zunächst zur Vorlage vor den Bayerischen Verfassungsgerichtshof, der die Regelung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG für vereinbar mit der bayerischen Verfassung erklärte. Das Sozialgericht hat die Vorschrift anschließend dem BVerfG zur verfassungsrechtlichen Prüfung vorgelegt, weil es den allgemeinen Gleichheitssatz und den grundrechtlich gewährleisteten Schutz von Ehe und Familie verletzt sah.

Die Karlsruher Richter entschieden nun, dass die Ungleichbehandlung auch nicht mit dem Ziel gerechtfertigt werden könne, eine Förderung auf Personen zu begrenzen, die dauerhaft in Bayern leben werden. Die Staatsangehörigkeit sei kein  geeignetes Kriterium, das verlässlich Aufschluss über die Dauer des künftigen Aufenthalts einer Person gibt. Da die vorgelegte Regelung nicht nach der Herkunft aus anderen Bundesländern, sondern nach der Staatsangehörigkeit unterscheide, könne sie auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Förderung von so genannten Landeskindern gerechtfertigt werden.

Der Gesetzgeber hat die verfassungswidrigen Regelungen bis zum 31. August 2012 durch eine Neuregelung zu ersetzen, ansonsten tritt die Nichtigkeit der Vorschriften ein.

tko/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG erklärt bayerisches Gesetz für verfassungswidrig: . In: Legal Tribune Online, 08.03.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5729 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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