Ampel streitet über "Familienstartzeit": FDP bremst geplante Ent­las­tung von Müt­tern

von Hasso Suliak

11.01.2024

Um ihre Partnerin in der Zeit des Wochenbettes unterstützen zu können, sollen Väter nach der Geburt ihres Kindes zehn Arbeitstage bei vollem Lohn freigestellt werden. Doch das Gesetz lässt auf sich warten, weil die FDP bremst.

Im Koalitionsvertrag haben es sich SPD, Grüne und FDP eigentlich fest vorgenommen: "Wir werden eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes einführen. Diese Möglichkeit soll es auch für Alleinerziehende geben." Indes: Ob es die von einigen – gerne diskreditierend – als "Vaterschaftsurlaub" bezeichnete Freistellung (Familienstartzeit) jemals geben wird, ist derzeit ungewiss.  

Ein Referentenentwurf aus dem Haus von Bundesfamilienministerien Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) befindet sich seit Monaten in der Ressortabstimmung. "Dies betrifft auch Fragen des zeitlichen Ablaufs des Gesetzgebungsvorhabens", so ein Sprecher des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) am Mittwoch. Ursprünglich sollte das Vorhaben Anfang 2024 in Kraft treten. Letzter Stand ist jedoch immer noch der seit März 2023 unveränderte Referentenentwurf. Der Grund: Die FDP, insbesondere das Bundesfinanzministerium, blockiert den Prozess innerhalb der Bundesregierung beharrlich. Grund dafür sind Unstimmigkeiten bei der Finanzierung.  

Unterstützung während des Wochenbetts kein "Erholungsurlaub"  

Erklärtes Ziel des Familienstartzeitgesetzes ist es, Anreize zu schaffen, Väter schon frühzeitig in die Care-Arbeit einzubinden und Eltern eine partnerschaftliche Aufgabenteilung zu ermöglichen. "Gerade in der anstrengenden und herausfordernden Zeit des Wochenbetts sollte es dem Partner oder der Partnerin erleichtert werden, seiner bzw. ihrer Fürsorgeverantwortung gerecht zu werden. Denn diese Zeit sollte nicht allein als Angelegenheit der Mutter betrachtet werden, die das Kind zur Welt bringt", heißt es im Referentenentwurf des BMFSFJ.  

Dass es bisher keine ausdrücklichen Freistellungsregelungen für den Partner oder die Partnerin der Frau gibt, ist laut Familienministerium mit dem gewandelten gesellschaftlichen Familienbild und dem Wunsch vieler Paare nach einer partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung nicht mehr vereinbar. "Damit kommt ein überholtes traditionelles Rollenbild zum Vorschein, wonach sich nach der Geburt eines Kindes ganz überwiegend die Mutter um das Neugeborene kümmert und sich der (männliche) Partner allein der Erwerbsarbeit widmet." 

Tatsächlich greifen viele Väter in den ersten Wochen nach der Geburt auf ihren Erholungsurlaub zurück, bevor sie später – und dann auch nur meist die üblichen zwei Monate – in Elternzeit gehen. Das Haus von Familienministerin Lisa Paus hält dies für verfehlt: "Die Nutzung des Erholungsurlaubs nach der Geburt erscheint nicht sachgerecht, da die Übernahme der Fürsorgeverantwortung nicht der Erholung des Partners oder der Partnerin dient, sondern der Unterstützung der Frau in der Zeit des Wochenbettes."  

Partnerschaftliche Aufgabenteilung auch für Alleinerziehende 

Weil es in erster Linie um die Entlastung der Mutter unmittelbar nach der Geburt geht, hat das BMFSJ – wie im Koalitionsvertrag auch anvisiert – auch eine Regelung für alleinerziehende Mütter getroffen. Auch sie sollen die Möglichkeit erhalten, sich in einem familiär-vertrauten Umfeld von den Anstrengungen der Geburt zu regenerieren. "Dazu können sie eine Person benennen, die sie als Partner oder Partnerin anstelle des anderen Elternteils nach der Entbindung unterstützen kann", heißt es im Entwurf.  

Von der Familienstartzeit ohne finanzielle Einbuße für Väter erhofft sich das BMFSFJ eine nachhaltige Wirkung im Sinne von mehr Gleichberechtigung: "Mit der Geburt des Kindes und dem Beginn der Elternzeit stellen Paare zentrale Weichen für ihre Aufgabenteilung bei Familien- und Erwerbsarbeit. Da diese Aufteilung bei fast allen Familien für lange Zeit beibehalten wird, hat die Entscheidung große Tragweite für die gesamte Erwerbsbiografie und das Lebenseinkommen einschließlich der Altersabsicherung." 

Finanzierung durch Umlageverfahren wie beim Mutterschutz 

Der Grund, warum die Väter-Freistellung nicht schon längt Gesetz geworden ist, liegt nunmehr an der umstrittenen Finanzierung des Vorhabens. Paus Gesetz sieht vor, dass diese so läuft wie beim gesetzlichen Mutterschutz, also per Umlageverfahren: Arbeitgeber zahlen das Gehalt weiter, bekommen aber einen vollen Erstattungsanspruch aus dem arbeitgebersolidarisch finanzierten "U2-Umlageverfahren" nach dem Aufwendungsausgleichgesetz. An diesem nehmen grundsätzlich Arbeitgeber teil, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis beschäftigen. Um die vom BMFSJ geschätzt rund 470.000 pro Jahr zu erwartende Anträge auf Familienstartzeit per Umlage finanzieren zu können, geht das BMFSFJ von jährlichen Umlagekosten für die Arbeitgeber in Höhe von rund 556 Millionen Euro aus.  

Ein Mehraufwand, den der Arbeitgeberverband BDA bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der Pläne im April 2023 heftig kritisierte. Standpunkt der Arbeitgeber: Die aktuelle Rechtslage reiche aus. "Unsere sehr weitreichenden Regelungen zu Elternzeit und Elterngeld geben beiden Elternteilen bereits umfangreiche Möglichkeiten, sich die familiären Aufgaben nach eigenen Vorstellungen aufzuteilen, auch dafür, ab der Geburt im Job eine Pause einzulegen", so die BDA. 

FDP auf Seiten der Arbeitgeberlobby  

Mit der Arbeitgeberlobby soldarisiert sich die FDP – und war "auf allen Ebenen", wie es aus Kreisen einer Regierungsfraktion heißt. Dass das von den Liberalen geführte Finanzministerium gegen Paus’ Gesetz ist, hatte vor geraumer Zeit bereits die FAZ berichtet. "Es gibt Gegenwind derer, die wohl eher die Arbeitgeberinteressen im Fokus haben. Da zum Regieren innerhalb einer Koalition aber auch immer die Suche nach Kompromissen gehört, mahlen die Mühlen bei dem Thema Freistellung von Vätern beziehungsweise auch Partnerinnen leider nicht ganz so schnell, wie wir uns das wünschen würden", bestätigte die für das Thema in der SPD-Bundestagsfraktion zuständige Berichterstatterin Sarah Lahrkamp gegenüber dem MDR.  

Tatsächlich regt sich auch in der FDP-Bundestagsfraktion, die formal noch gar nicht mit einem fertigen Regierungsentwurf befasst ist, massiver Widerstand gegen die verabredete Mütter-Entlastung. Der in der Fraktion für das Vorhaben – eines Tages vielleicht – zuständige Berichterstatter MdB Matthias Seestern-Pauly erklärt gegenüber LTO: "Eine Ausweitung von Leistungen, so wünschenswert sie auch wären, müssen im Sinne der Verlässlichkeit und der Generationengerechtigkeit langfristig tragfähig und finanzierbar sein. Auch halten wir das von der Bundesregierung bereits 2022 beschlossene Belastungsmoratorium, vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Lage, weiterhin für richtig. Daher haben wir als FDP noch Klärungsbedarf."  

SAP legt Pläne auf Eis 

Folgen hat der "Klärungsbedarf" der FDP bereits jetzt ganz konkret für die Beschäftigten und jungen Väter beim Softwarekonzern SAP. Weil das Vorhaben der Ampel nicht wie geplant Anfang 2024 Gesetz geworden ist, wird SAP nicht wie noch im September 2023 angekündigt ein Modell zur Freistellung von Vätern oder anderen Partnern oder Partnerinnen ab der Geburt ihres Kindes einführen.  

Der Konzern wollte auf die gesetzliche Regelung nicht nur verweisen, sondern sogar noch einen drauflegen: Väter sollten bei SAP ab Jahresbeginn sechs Wochen bezahlt freigestellt werden. Das ist jetzt erst einmal vom Tisch: "Die Bundesregierung hat die im Koalitionsvertrag vereinbarte Regelung zur sogenannten Väterzeit nicht wie geplant umgesetzt. Wir nehmen dies zum Anlass, unsere eigenen Pläne in diesem Bereich ebenfalls zu überprüfen", so ein Unternehmenssprecher zu LTO

Im Bundestag einen potenziellen Verbündeten findet die FDP übrigens bei der größten Oppositionsfraktion, der Union. Deren familienpolitische Sprecherin Silvia Breher findet es zwar "wichtig und richtig, dass Paare die Möglichkeit haben, sich nach der Geburt Zeit für ihr Kind nehmen zu können". Breher setzt aber auf eine Weiterentwicklung bestehender "Instrumente" wie Elterngeld und Elternzeit. 

Union lehnt "Vaterschaftsurlaub" ab 

Eine Familienstartzeit lehnt sie dagegen in einem Statement gegenüber LTO ab und bezeichnet die geplante Freistellung der Väter als "Urlaub". "Die von der Bundesfamilienministerin Paus bereits öffentlich geäußerte Vorstellung, dass die Arbeitgeber einen zusätzlichen 'Vaterschaftsurlaub' bezahlen sollen, lehnen wir als Unionsfraktion ab. Das würde zu einer massiven Belastung insbesondere von kleineren und mittleren Unternehmen führen, die sich in vielen Bereichen ohnehin aufgrund der Ereignisse der letzten Jahre kaum über Wasser halten können", so Breher.  

"Die Ampel sollte da ansetzen, wo tatsächlicher Bedarf besteht”, so Breher weiter. “Es wäre sinnvoll, das Elterngeld weiterzuentwickeln, die partnerschaftliche Aufteilung von Sorgearbeit zu stärken und dabei nicht nur die ersten zehn Tage in den Blick zu nehmen, sondern den gesamten Lebenslauf von Familien." 

Unterdessen haben SPD und Grüne trotz des Widerstandes ihres Koalitionspartners die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Familienpartnerzeit trotz der FDP-Vorbehalte noch kommt: "Als grüne Bundestagsfraktion setzen wir uns weiter dafür ein, dass die Familienstartzeit kommt. Der Referentenentwurf liegt seit März 2023 vor. Das Bundesfamilienministerium hat geliefert", sagt Nina Stahr, Mitglied im Familienausschuss und bildungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. Ähnlich reagiert auch die SPD-Abgeordnete Lahrkamp. "Wir haben uns als Koalition darauf verständigt, eine zweiwöchige Partnerfreistellung zu ermöglichen. Und wir werden als SPD-Bundestagsfraktion alles daransetzen, diese so schnell wie möglich einzuführen, da wir genau wissen, wie sehr Familien auf dieses Gesetz warten.” 

Umfragen in Unternehmen: Kostenbelastung für Arbeitgeber überschaubar 

Das BMFSJ hat sich nach Bekanntwerden der Arbeitgeberkritik übrigens beeilt und per Allensbach-Umfrage zu dem Thema ein Meinungsbild bei Unternehmen eingeholt und sich vom Fraunhofer Institut einmal die Kosten berechnen lassen. 

Ergebnis: Eine relative Mehrheit von 43 Prozent der Unternehmensverantwortlichen bewerten die Familienstartzeit als gute Sache. 31 Prozent sind dagegen. 48 Prozent der befragten Unternehmen erwarten demnach, die Familienstartzeit gut hinzubekommen, in 31 Prozent der Unternehmen werden größere Schwierigkeiten befürchtet. 21 Prozent der Befragten wagen keine Prognose und erklären sich unentschieden. 

Das Fraunhofer Institut kommt nach Angaben des BMFSFJ in einer vereinfachten Modellberechnung zu dem Ergebnis, dass die Kosten für Unternehmen überschaubar seien könnten. Für ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitenden bei einem Durchschnittslohn von 3.700 Euro brutto seien mit 208 Euro Mehrausgaben zu rechnen. Bei zehn Mitarbeitenden seien es 10,40 Euro. "Für den ganzen Betrieb, wohlgemerkt", so ein BMFSJ-Sprecher. 

Zitiervorschlag

Ampel streitet über "Familienstartzeit": . In: Legal Tribune Online, 11.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53611 (abgerufen am: 18.11.2024 )

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