Gesetze dürfen auch erlassen werden, wenn sie im Widerspruch zu völkerrechtlichen Verträgen stehen. Die Verträge haben nur den Rang einfacher Bundesgesetze. Der Gesetzgeber muss sie auch revidieren können, entschied das BVerfG.
Der Gesetzgeber ist auch dann nicht am Erlass eines Gesetzes gehindert, wenn dieses zu völkerrechtlichen Verträgen im Sinne von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) im Widerspruch steht. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) durch einen am Freitag veröffentlichten Beschluss entschieden, der sich auf das Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen Deutschland und der Türkei aus dem Jahr 1985 (DBA-Türkei 1985) bezieht (Beschl. v. 15.12.2015, Az. 2 BvL 1/12).
In dem - heute nicht mehr gültigen - Abkommen haben Deutschland und die Türkei unter anderem vereinbart, dass Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen in der Türkei erzielen, von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen werden und nur bei der Festsetzung des Steuersatzes für andere Einkünfte berücksichtigt werden dürfen.
Ein Ehepaar wendete sich gegen ihren Einkommensteuerbescheid. Der Ehemann erzielte teils in Deutschland, teils in der Türkei Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit, brachte aber keinen Nachweis gem. § 50d abs. 8 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) und wurde deshalb auch in Deutschland besteuert. Die Norm bewirkt eine Freistellung der Einkünfte, die aufgrund völkerrechtlicher Abkommen gewährt werden nur, wenn der Nachweis über die Besteuerung in dem anderen Staat erbracht wird. Der Bundesfinanzhof (BFH) setzte das Verfahren aus und fragte das BVerfG nach der Vereinbarkeit von § 50d Abs. 8 Satz 1 EstG mit dem Grundgesetz, soweit dieser dem Abkommen mit der Türkei widerspricht.
Die Überschreibung eines Doppelbesteuerungsabkommens durch ein innerstaatliches Gesetz ist verfassungsrechtlich zulässig, entschieden die Karlsruher Richter. Völkerrechtlichen Verträgen komme nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, soweit sie nicht in den Anwendungsbereich speziellerer Öffnungsklauseln (Art. 1 Abs. 2, 23, 24 GG) fallen, innerstaatlich der Rang eines einfachen Bundesgesetzes zu. In diesem Fall verlange das Demokratieprinzip, dass spätere Gesetzgeber die Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber innerhalb der vom Grundgesetz vorgegebenen Grenzen revidieren können. Etwas anderes folge weder aus dem Rechtsstaatsprinzip noch aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes. Auch letzterer habe zwar Verfassungsrang, beinhalte jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Normen.
acr/LTO-Redaktion
BVerfG zu Doppelbesteuerungsabkommen: . In: Legal Tribune Online, 12.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18444 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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