§ 13 Nr. 2 und Nr. 3 BWahlG sehen vor, dass unter Betreuung stehende Menschen und solche, die wegen einer Straftat in eine Psychiatrie eingewiesen wurden, nicht wählen dürfen. Ein deutlicher Verstoß gegen die Verfassung, findet das BVerfG.
Menschen, die auf gerichtlich bestellte Betreuung angewiesen sind, dürfen nicht pauschal von Wahlen ausgeschlossen werden. Das gilt nach einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auch für Straftäter, die wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind (Beschl. v. 21.01.2019, Az. 2 BvC 62/14).
Gleich an mehreren Stellen stellte der Zweite Senat erhebliche Verfassungsverstöße durch die Vorschriften des § 13 Nr. 2 und 3 des Bundeswahlgesetzes (BWahlG) fest. So sei etwa der von § 13 Nr. 2 BWahlG betroffene Personenkreis von 81.220 Menschen bei der Bundestagswahl 2013 zu groß. Den Grund für die Verstöße sehen die Karlsruher Richter auch in dem im Betreuungsrecht durchgängig geltenden Erforderlichkeitsgrundsatz.
Das vornehmste Recht im demokratischen Staat
Demnach wird dann kein Betreuer bestellt, wenn der Betroffenen anders, insbesondere von der eigenen Familie, versorgt werden kann. Für solche Personen bleibt das Wahlrecht also erhalten, da eine gerichtliche Bestellung eines Betreuers, wie es § 13 Nr. 2 BWahlG verlangt, nicht in diesem Sinne erforderlich ist. So sei es letztlich auch eine Frage der Familienverhältnisse und damit des Zufalls, ob dem Betroffenen das "vornehmste Recht im demokratischen Staat" erhalten bleibt oder nicht, so das BVerfG.
Zwar könne eine bestimmte Personengruppe vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen werden, so die Karlsruher Richter. Für die Betreuten gelte das aber nur dann, wenn die Betroffenen mangels Einsichtsfähigkeit nicht am am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen teilnehmen könnten. Wegen ihrer zu pauschalen Formulierung genüge die Regelung des § 13 Nr. 2 BWahlG diesen Anforderungen aber nicht, weshalb die Karlsruher Richter den Wahlausschluss wegen Verstoßes gegen die Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) und wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von Behinderten (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG) für mit der Verfassung unvereinbar erklärten.
Dieselben Verstöße stellte das BVerfG auch in Bezug auf die Regelung des § 13 Nr. 3 BWahlG fest, der den Wahlausschluss von Straftätern normiert, die wegen Schuldunfähigkeit in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen wurden.
BVerfG: Schuldunfähigkeit kann niemals Wahlrechtsausschluss bedingen
§ 13 Nr. 3 BWahlG sei erst gar nicht geeignet, Personen zu erfassen, die typischerweise nicht an einer Wahl teilnehmen können. Denn die Feststellung der möglicherweise nur vorübergehenden Schuldunfähigkeit zum Tatzeitpunkt gemäß § 20 des Strafgesetzbuches (StGB) könne nicht zu einem dauerhaften Entzug des aktiven Wahlrechts führen, resümierte der Zweite Senat.
Während der Gesetzgeber in Bezug auf die Regelung des § 13 Nr. 2 BWahlG nun Zeit hat, an einer weniger pauschalen Formulierung zu arbeiten, erklärten die Karlsruher Richter die Vorschrift des § 13 Nr. 3 BWahlG für nichtig. Den Wahlrechtsausschluss an die strafrechtliche Schuldfähigkeit zu knüpfen sei ausnahmslos unzulässig. Daher schade es nicht, wenn die Regelung ersatzlos wegfalle.
Der Deutsche Richterbund (DRB) sieht nun den Gesetzgeber in der Pflicht. "Union und SPD müssen diese Entscheidung nun schnell umsetzen. Sie haben eine Änderung des Wahlrechts bereits in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, bisher aber keinen Gesetzentwurf dazu vorgelegt", sagte Peter Fölsch, Präsidiumsmitglied des DRB, am Donnerstag in Berlin. Auch aus Sicht der stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Eva Högl, wären der Urteilsspruch "und die damit verbundene erneute Blamage für den Bundestag vermeidbar gewesen: Seit Ende November des vergangenen Jahres gibt es eine Einigung zwischen den Innenpolitikern der Koalitionsfraktionen und dem Bundesinnenminister. Die Spitze der Unionsfraktion hat aber bislang verhindert, dass diese Einigung auch im Bundestag verabschiedet werden kann". Die von der Union vorgeschlagene Einzelfallprüfung der Wahlfähigkeit "würde die Gefahr bergen, diese Grundrechtseinschränkung auf Hunderttausende Wahlberechtigte auszudehnen. Das ist das Gegenteil dessen, was die SPD seit Jahren fordert,”so Högl, die auch als mögliche Nachfolgerin von Katarina Barley im Amt der Bundesjustizministerin gehandelt wird.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte erklärte, die Ungleichbehandlung durch Wahlausschlüsse sei hinsichtlich der Bundestagswahl mit dem heutigen Tag beendet. Die Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention der NGO empfahl dem Deutschen Bundestag, jetzt auch die Wahlrechtsausschlüsse im Europawahlgesetz aufzuheben. Auch die Landesgesetzgeber müssten im Licht der Entscheidung ihre Landeswahlgesetze anpassen; bis dahin sollten sie "allen Menschen mit Behinderungen das Wahlrecht einräumen", heißt es in einer Mitteilung des DIMR.
tik/LTO-Redaktion
mit Materialien von dpa
BVerfG verbietet Ausschluss betreuter Menschen von Wahlen: . In: Legal Tribune Online, 21.02.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33975 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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