Ausländer aus Nicht-EU-Staaten mit humanitärem Aufenthaltstitel müssen Kindergeld erhalten - und zwar unabhängig davon, ob sie zu dem Zeitpunkt der Beantragung erwerbstätig sind oder nicht. Das hat das BVerfG entschieden.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat auf die Vorlage eines Finanzgerichts hin entschieden, dass es verfassungswidrig ist, Drittstaatsangehörige mit humanitären Aufenthaltstiteln vom Kindergeld ausszuschließen. Die Regelung verstoße gegen den Allgmeinen Gleichheitssatz. (Beschl. v. 28.06.2022, Az. 2 BvL 9/14, 2 BvL 10/14, 2 BvL 13/14, 2 BvL 14/14).
Mehrere Elternpaare, die aus dem Ausland außerhalb der EU kommen und in Deutschland wohnen, hatten Ansprüche auf Kindergeld geltend gemacht. Die Anträge wurden jedoch alle abgelehnt. Zwar hatten alle den dafür erforderlichen Aufenthaltstitel, allerdings waren sie nicht ausreichend in den Arbeitsmarkt integriert, weshalb die Behörden die Zahlungen ablehnten. Hiergegen hatten die Betroffenen jeweils Klage beim Finanzgericht (FG) eingereicht.
Dieses hatte sich daraufhin die Frage gestellt, ob die ausschlaggebende Vorschrift - § 62 Abs. 2 Nr. 3 b Einkommensteuergesetz (EStG) - verfassungswidrig sei. Entsprechend wandte es sich mit einer Vorlage an das BverfG. Ob Ausländer aus Nicht-EU-Staaten Kindergeld bekommen, ist danach von der Art des Aufenthaltstitels abhängig. Menschen, denen der Aufenthalt in Deutschland aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen erlaubt ist, haben nur dann einen Anspruch auf Kindergeld, wenn sie sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten. Zusätzlich müssen sie bestimmte Merkmale der Arbeitsmarktintegration erfüllen. Das heißt, sie müssen entweder berechtigt erwerbstätig sein, Arbeitslosengeld I beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen - ansonsten gibt es kein Kindergeld.
Ungleichbehandlung von Ausländern mit humanitären Aufenthaltstiteln
Das BVerfG hat die Frage des FG eindeutig beantwortet: Die Regelung verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und ist damit verfassungswidrig.
Den Steuergesetzgeber binde Art. 3 Abs. 1 GG an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit, so die Karlsruher Richterinnen und Richter. Unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen muss die Ausgestaltung belastungsgleich erfolgen. Doch das hat der Gesetzgeber nicht eingehalten, stellte das BverfG fest.
Die Regelung bewirke nämlich eine Ungleichbehandlung zwischen Ausländern mit humanitärem Aufenthaltstitel. Einen Anspruch auf Kindergeld haben nur diejenigen, die zusätzlich im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sind oder es nur vorübergehend nicht sind, weil sie Arbeitslosengeld I beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen. Wer hingegen – wie die Klägerinnen und der Kläger der Ausgangsverfahren – keines dieser Merkmale aufweist, bekommt kein Kindergeld.
Diese Ungleichbehandlung könne dabei nicht durch einen Anspruch auf Sozialleistungen kompensiert werden. Denn auch in diesem Fall kann es zu einer wirtschaftlichen Schlechterstellung derjenigen Ausländer kommen, die keinen Kindergeldanspruch haben.
Arbeitsmarktintegration kein geeignetes Differenzierungsmerkmal
Gerechtfertigt sei die Ungleichbehandlung auch nicht, wie das BverfG in seiner Entscheidung unmissverständlich befindet. Der Gesetzgeber verfolge zwar mit der Vorschrift einen legitimen Zweck, nämlich Kindergeld nur solchen Personen zukommen zu lassen, die sich voraussichtlich dauerhaft in Deutschland aufhalten werden. Die Unterscheidung nach der prognostizierten Bleibedauer der Ausländer in Deutschland könne eine ungleiche Behandlung aber nicht rechtfertigen. Die Differenzierungskriterien seien nicht geeignet, die Leistungsberechtigten zu bestimmen.
Dabei kritisierte das BVerfG vor allem das Kriterium einer "Integration in den Arbeitsmarkt". Es könne zwar als Indiz gewertet werden, dass Betroffene voraussichtlich dauerhaft in Deutschland bleiben möchten, wenn sie zum Beispiel einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Allerdings sei der Umkehrschluss nicht begründbar, dass ohne eine Erwerbstätigkeit eine solche Prognose nicht möglich sei. Gerade bei humanitären Aufenthaltstiteln erscheine eine Korrelation zwischen einer Erwerbstätigkeit und der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer wenig plausibel, begründete das BVerfG seine Entscheidung.
Die Fälle seien auch nicht mit Zuwanderungssachverhalten zu vergleichen, bei der Menschen gezielt nach Deutschland kommen, um hierzulande eine Ausbildung zu machen und zu arbeiten. Denn die Aufenthaltsdauer hängt bei den meisten humanitären Aufenthaltstiteln stärker von der Situation in den Herkunftsstaaten der Betroffenen als von deren eigener Lebensplanung ab.
Fälle der Betroffenen machen Schwächen der Regelung deutlich
Das BVerfG nimmt die Fälle der Betroffenen der Ausgangsverfahren als Beispiel dafür, wie ungeeignet das Kriterium seiner Auffassung nach ist. Die vom FG vorgelegten Fälle höben die Schwächen des Kriteriums der Arbeitsmarktintegration besonders hervor: Ausschlaggebend dafür, dass den Eltern das Kindergeld verweigert worden war, war jeweils ein kurzer Zeitraum zwischen dem Auslaufen des Arbeitslosengeldes (ALG I) und dem Beginn der neuen Arbeitsstelle. Einen solchen kurzen Zeitraum als Indiz gegen eine Arbeitsmarktintegration zu werten, werde der tatsächlichen Situation der Betroffenen nicht gerecht, so das BverfG.
Schließlich könne auch die Befugnis der Legislative, Fälle gesetzgeberisch zu typisieren, die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Es spreche vielmehr einiges dafür, dass der Gesetzgeber sogar umgekehrt einen atypischen Fall als Leitbild gewählt habe.
Nach Einleitung des Vorlageverfahrens wurde die Regelung bereits zum 1. März 2020 geändert. Auf eine Integration in den deutschen Arbeitsmarkt kommt es für den Kindergeldanspruch mittleweile nicht mehr an.
cp/LTO-Redaktion
BVerfG zu Ausländern aus Drittstaaten: . In: Legal Tribune Online, 03.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49220 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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