Die Leugnung des Holocausts ist keine Meinung und gefährdet den öffentlichen Frieden, Ursula Haverbecks Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos. Eine Verharmlosung von Nazi-Verbrechen allein ist aber noch nicht strafbar, so das BVerfG.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat über zwei Verfassungsbeschwerden gegen Verurteilungen wegen Volksverhetzung entschieden. Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verurteilung wegen Verharmlosung des nationalsozialistischen Völkermords hatte Erfolg, eine andere wegen Leugnung hingegen nicht.
Es ging einmal mehr um die 89-jährige Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck aus Vlotho in Ostwestfalen. Die Rechtextremistin hatte Artikel veröffentlicht, nach denen sich die massenhafte Tötung der Juden unter der Herrschaft der Nationalsozialisten nicht ereignet haben könne. Insbesondere seien die Massenvergasungen im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau nicht möglich gewesen. Die Behauptungen präsentierte die Rechtsextremistin als aufgrund neuer Erkenntnisse feststehende Tatsachen. Die Artikel stützten sich auf angebliche Aussagen der Leitung der heutigen KZ-Gedenkstätte, auf verschiedene Historiker und auf veröffentlichte Befehle, aus denen hervorgehe, dass das Lager Auschwitz-Birkenau allein dazu bestimmt gewesen sei, die dort internierten Personen für die Rüstungsindustrie arbeitsfähig zu halten.
Holocaust-Leugnung ist keine Meinung
Das BVerfG wies ihre Verfassungsbeschwerde dagegen als unbegründet ab, wie am Freitag bekannt wurde. Als erwiesen unwahre und nach den Feststellungen der Fachgerichte auch bewusst falsche Tatsachenbehauptungen könnten ihre Äußerungen nicht zur verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung beitragen. Deren Verbreitung als solche sei nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Das ändere sich, so die Karlsruher Richter, auch nicht dadurch, dass an die Tatsachenbehauptungen Meinungsäußerungen geknüpft werden (Beschl. v. 22.06.2018, Az. 1 BvR 673/18).
Die Tatbestandsvariante der Leugnung in § 130 Abs. 3 StGB indiziere eine tatbestandsmäßige Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens. Den nationalsozialistischen Völkermord zu leugnen, sei vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte geeignet, Zuhörer zur Aggression zu verleiten und sie dazu zu veranlassen, gegen die Verantwortlichen dieser angeblichen historischen Lüge tätig zu werden. Den Holocast zu leugne, trage damit unmittelbar die Gefahr in sich, die politische Auseinandersetzung ins Feindselige und Unfriedliche umschlagen zu lassen.
Verharmlosung indiziert keine Gefahr für öffentlichen Frieden
Erfolgreich war hingegen die Verfassungsbeschwerde eines Mannes, der wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt worden war. Er hatte auf seinem YouTube-Account eine Audiodatei hochgeladen, in der die "Wehrmachtsausstellung", die vor einigen Jahren an verschiedenen Orten in Deutschland gezeigt wurde, kritisiert wurde.
Den Ausstellungsverantwortlichen wurden Fälschungen und Manipulationen sowie Volksverhetzung, den alliierten Siegermächten "Lügenpropaganda" vorgeworfen. Historische Wahrheiten würden verfolgt und bestraft, Menschen seien freiwillig mit der SS in Lager gegangen. Holocaust-Überlebenden wurde in dem Audiobeitrag vorgeworfen, mit Vorträgen über die Massenvernichtung Geld zu verdienen. Zudem wurde die These vertreten, dass Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und Zeugen in den Gerichtsprozessen zu dessen Aufarbeitung gelogen hätten.
Seine Verurteilung hat die 3. Kammer des Ersten Senats aufgehoben, das Landgericht Paderborn muss neu entscheiden. Die Verurteilung wegen Volksverhetzung verletze ihn in seiner Meinungsfreiheit, stellten die Karlsruher Richter fest.
Eine Verurteilung nach § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB) komme nur bei Äußerungen in Betracht, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Dies müsse beim Tatbestandsmerkmal der Verharmlosung eigens festgestellt werden und sei nicht wie bei den Varianten der Leugnung oder Billigung indiziert (Beschl. v. 22.06.2018, Az. 1 BvR 2083/15). Der Verurteilung lagen dazu aber keine tragfähigen Feststellungen zugrunde.
Es gibt keinen Schutz vor beunruhigenden Meinungen
Die Äußerungen des Mannes fallen als mit diffusen Tatsachenbehauptungen vermischte Werturteile in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit, entschied das BVerfG. Daher ergäben sich nähere Anforderungen an die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens. Nicht tragfähig sei ein Verständnis des öffentlichen Friedens, das darauf zielt, Bürger davor zu schützen, durch die Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien beunruhigt zu werden. Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehöre zum freiheitlichen Staat.
Der Schutz vor einer "Vergiftung des geistigen Klimas" sei ebenso wenig ein Grund, in die Meinungsfreiheit einzugreifen wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte. Eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründe noch keine Strafbarkeit. Vielmehr schützt die Meinungsfreiheit auch offensichtlich anstößige, abstoßende und bewusst provozierende Äußerungen, die wissenschaftlich haltlos sind und das Wertfundament unserer gesellschaftlichen Ordnung zu diffamieren suchen.
Das BVerfG betont, dass das nicht bedeutet, dass solche Äußerungen inhaltlich akzeptabel seien. "Die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes setzt vielmehr darauf, dass solchen Äußerungen, die für eine demokratische Öffentlichkeit schwer erträglich sein können, grundsätzlich nicht durch Verbote, sondern in der öffentlichen Auseinandersetzung entgegengetreten wird. Die Meinungsfreiheit findet erst dann ihre Grenzen im Strafrecht, wenn die Äußerungen in einen unfriedlichen Charakter umschlagen."
Und auch an grundsätzlich geschützte Meinungsäußerungen kann eine Verurteilung anknüpfen: nämlich dann, wenn diese mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und unmittelbar rechtsgutgefährdende Folgen auslösen können. Also wenn es etwa um Appelle zum Rechtsbruch, aggressive Emotionalisierung oder Hemmschwellen herabsetzen.
Rechtsextremistin Haverbeck verliert beim BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 03.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30153 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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