Das Land Hessen will beim islamischen Religionsunterricht nicht mehr mit dem Moscheeverband Ditib zusammenarbeiten. Vorläufiger Rechtsschutz dagegen wurde dem Ditib versagt. "Schlicht nicht nachvollziehbar", befand nun das BVerfG.
Im Streit um die Aussetzung des islamischen Religionsunterrichts an Hessischen Schulen hat der hessische Ableger des türkischen Moscheeverbands Ditib einen Erfolg erzielt. In einem Eilverfahren gegen die Aussetzung des Islamunterrichts haben die Hessischen Verwaltungsgerichte dem Verband keinen effektiven Rechtsschutz gewährt, entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss (v. 19.01.2021, Az. 1 BvR 2671/20). Der Ditib-Landesverband (im Folgenden Ditib) hat nun einen Anspruch auf die erneute Durchführung des Eilverfahrens.
In Hessen gab es seit dem Schuljahr 2013/14 einen sogenannten bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht in Kooperation mit dem Ditib. Grundlage dafür ist ein Bescheid des hessischen Kultusministeriums vom Dezember 2012, der Ditib als Gesprächs- und Kooperationspartner für den Religionsunterricht anerkennt. Im April 2020 teilte das Kultusministerium in einer Pressemitteilung mit, die Vollziehung des Bescheids zum Ende des laufenden Schuljahres 2019/2020 auszusetzen. Begründet wurde dies mit Zweifeln an der Eignung des Verbandes als Kooperationspartner. Es sei fraglich, ob die notwendige Unabhängigkeit des Verbands vom türkischen Staat vorhanden sei.
Der Ditib beantragte dagegen beim Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden den Erlass einer einstweiligen Anordnung und wollte unter anderem, dass das Land Hessen "bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache" verpflichtet wird, die Kooperation wie gewohnt fortzusetzen.
"Nicht mehr nachvollziehbare Auslegung des Rechtsschutzbegehrens"
Das VG lehnte diesen Antrag aber als unzulässig ab. Es ging dabei davon aus, Ditib mache die vorläufige Verpflichtung zur Fortsetzung des islamischen Religionsunterrichts davon abhängig, dass ein Hauptsacheverfahren anhängig sei. Da dies nicht der Fall sei, könne über den Antrag nicht entschieden werden.
Auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hielt den Antrag für unzulässig. Ditib wolle sich in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage gegen einen noch ausstehenden belastenden Verwaltungsakt wenden, so der VGH. Daher sei der Antrag auf vorläufige Verpflichtung des Landes zur Fortsetzung des Unterrichts nach § 123 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) unstatthaft. Statthaft sei stattdessen ein Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen einen belastenden Verwaltungsakt nach § 80 Abs. 5 VwGO. Zudem begehre Ditib vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutz, weil ein belastender Verwaltungsakt noch nicht ergangen und dies auch nicht absehbar sei. Somit sei der Antrag auch wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Das BVerfG hob die beiden Entscheidungen wegen Verletzung des Anspruchs auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Die Gerichte hätten den Antrag "auf der Grundlage einer nicht mehr nachvollziehbaren Auslegung des Rechtsschutzbegehrens als unzulässig angesehen und dem vorläufigen Rechtsschutz so jede Effektivität genommen", hieß es aus Karlsruhe dazu.
Auslegung der Verwaltungsgerichte nicht vertretbar
Die Auslegung des VG liegt laut BVerfG schon deshalb fern, weil der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO "schon vor Klageerhebung" gestellt werden könne. Ditib habe auf Nachfrage des VG deutlich gemacht, dass eine vorläufige und keine endgültige Regelung begehrt werde. Die Annahme des VG, es sei Ditib darum gegangen, dass nicht vor Erhebung einer Klage über eine vorläufige Verpflichtung des Landes entschieden werde, sei unter diesen Umständen nicht mehr vertretbar.
Auch die vom VGH vorgenommene Auslegung des Rechtsschutzbegehrens hielt das BVerfG für sachlich nicht mehr vertretbar. Der Antrag sei klar auf eine sofortige, vorläufige Verpflichtung zur Fortführung des Religionsunterrichts gerichtet. "Weshalb es dem Beschwerdeführer stattdessen um vorläufigen Rechtsschutz gegen einen Verwaltungsakt gehen sollte, dessen Erlass noch nicht einmal absehbar ist, ist schlicht nicht nachvollziehbar, zumal der Beschwerdeführer bis dahin die faktische Aussetzung des erteilten islamischen Religionsunterrichts hinnehmen müsste", entschied das Karlsruher Gericht.
Die Ausführungen der Verwaltungsgerichte zu einem zweiten Antrag, mit dem sich die Religionsgemeinschaft gegen einen vom Land selbst organisierten Islamunterricht wendete, beanstandete das BVerfG ebenfalls als Grundrechtsverletzung. Wegen der von Ditib geltend gemachten Verletzung des Rechts auf Durchführung eines bekenntnisgebundenen islamischen Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 GG verwies das BVerfG aber auf den fachgerichtlichen Rechtsweg, der in dieser Sache eröffnet sei.
acr/LTO-Redaktion
BVerfG zum Islamunterricht in Hessen: . In: Legal Tribune Online, 22.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44069 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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