Am Dienstag wurde vor dem BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Hartz-IV-Sanktionen verhandelt. Das Gericht steht dabei einmal mehr im Mittelpunkt einer politischen Auseinandersetzung und versucht, Erwartungen zu dämpfen.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat die Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher, die Jobangebote ausschlagen oder Fördermaßnahmen ablehnen, vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verteidigt. "Der Sozialstaat muss ein Mittel haben, die zumutbare Mitwirkung auch verbindlich einzufordern", sagte der SPD-Politiker am Dienstag zum Verhandlungsauftakt in Karlsruhe. Dazu gehörten aus Sicht der Bundesregierung auch Leistungskürzungen (Az. 1 BvL 7/16).
Nach dem Prinzip "Fördern und Fordern" können die Jobcenter Hartz-IV-Empfängern, die ihren Pflichten nicht nachkommen, ihre Leistungen kürzen. Bei Verfehlungen, die über einen verpassten Termin hinausgehen, droht eine dreimonatige Kürzung um 30 Prozent des sogenannten Regelsatzes. Wer innerhalb eines Jahres mehrfach negativ auffällt, verliert 60 Prozent oder sogar das gesamte Arbeitslosengeld II, samt der Kosten für Unterkunft und Heizung.
Das Sozialgericht in Gotha hält das für verfassungswidrig und hat ein Verfahren ausgesetzt, um die Vorschriften in Karlsruhe unter die Lupe nehmen zu lassen. In dem Fall musste ein Arbeitsloser aus Erfurt mit 234,60 Euro im Monat weniger auskommen, weil er ein Jobangebot abgelehnt und Probearbeit verweigert hatte. Das Urteil der Verfassungsrichter ist in einigen Monaten zu erwarten.
BVerfG-Vize Harbarth: "Nehmen das ernst"
Thüringens Arbeitsministerin Heike Werner (Linke) bekräftigte ihre Forderung nach Abschaffung der Sanktionen. "Aus meiner Sicht ist die sofortige Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen notwendig", sagte Werner in Erfurt. Kürzungen beim Regelsatz verletzten das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschwürdigen Existenzminimums, sagte Werner. Die Landesregierung habe den Stopp der Sanktionen bereits im Bundesrat gefordert, dafür aber keine Mehrheit erhalten. Der SPD-Landeschef und Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee forderte eine Reform von Hartz IV. "Wer Arbeitssuchende über einen Kamm schert, demotiviert die Mehrheit der arbeitssuchenden Menschen." Ein völliger Verzicht auf Sanktionen ist seiner Meinung nach aber nicht zielführend.
Die Erfurter Anwältin des Klägers, Susanne Böhme, kritisierte, dass die Sanktionen oft nicht den gewünschten Effekt hätten. Resignation und Existenzangst stünden der Vermittlung eher entgegen. Der starre Zeitraum von drei Monaten sei demotivierend - es zahle sich nicht aus, sein Verhalten zu ändern. So stehe die Strafe im Vordergrund.
Der neue Vizegerichtspräsident Stephan Harbarth, den seit Amtsantritt die Debatte um eine mögliche Besorgnis der Befangenheit verfolgt und der im Bundestag als CDU-Abgeordneter für die Sanktionen gestimmt hatte, betonte, dem Senat sei bewusst, dass die Thematik für viele Menschen in schwierigen Lebenslagen sehr wichtig sei und grundlegende Bedürfnisse betreffe. "Das nehmen wir ernst." Gleichzeitig dämpfte er die Erwartungen: Es gehe nicht um die Frage, ob Sozialleistungen mit einem Sanktionssystem politisch sinnvoll seien und erst recht nicht um die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen.
BVerfG-Entscheidung könnte Union zum Handeln drängen
14 Jahre nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu Hartz IV setzt sich Bundesarbeitsminister Heil derzeit in Berlin für eine Reform der Sanktionen ein. Als Vertreter der Bundesregierung halte er die Mitwirkungspflichten für verfassungsgemäß, sagte er in einer Verhandlungspause vor Journalisten. Das schließe aber nicht aus, das ein oder andere politisch weiterzuentwickeln. Heil will unter anderem die besonders scharfen Sanktionen für junge Menschen unter 25 Jahren abschaffen. In der großen Koalition hat das im Moment aber keine Chance, weil die Union eine solche Änderung nicht mittragen würde. Beanstandet Karlsruhe die Sanktionen, würde das Änderungen erzwingen. Die Richter merkten mehrmals an, dass sie die einmütige Kritik aller gehörten Sozialverbände an dem System sehr ernst nehmen.
2017 verhängten die Jobcenter fast eine Million Sanktionen. Davon kann dieselbe Person mehrfach betroffen sein. In gut drei Viertel der Fälle hatten die Betroffenen einen Termin beim Jobcenter versäumt. Dafür werden die Leistungen um zehn Prozent gekürzt. Um diese Meldeversäumnisse geht es in dem Karlsruher Verfahren nicht, wie Harbarth klarstellte, sondern nur um die Streichungen ab 30 Prozent. Nach Auskunft der Regierung liegt die Sanktionsquote nur für diesen Bereich bei etwa einem Prozent. Die Gesamtquote liegt bei 3,1 Prozent.
Der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, wies darauf hin, dass die Sanktionen über keinen Hartz-IV-Empfänger unvorbereitet hereinbrächen. Gleich zu Beginn werde im Gespräch zur Eingliederungsvereinbarung auch über die Pflichten gesprochen.
Die Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstags, Monika Paulat, kritisierte, dass die Jobcenter keine Möglichkeit hätten, Sanktionen zu verkürzen oder wieder aufzuheben und im Einzelfall flexibel zu reagieren. Die Gesamtumstände würden erst im Verfahren vor den Sozialgerichten analysiert, aber nicht jeder habe die Kraft, zu klagen. Vor den Gerichten wurden laut Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2016 in gut 38 Prozent der Fälle die Sanktionen aufgehoben.
dpa/mam/LTO-Redaktion
Verhandlung zu Hartz-IV-Sanktionen: . In: Legal Tribune Online, 15.01.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/33245 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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