Zählt Jugendarrest als Freiheitsentziehung? Ja, so das LSG Niedersachsen-Bremen. Ein Bürgergeldempfänger muss deshalb 400 Euro ans Jobcenter zurückzahlen. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache ist aber Revision zugelassen.
Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) in Celle hat sich zu einer umstrittenen Rechtsfrage positioniert und entschieden, dass auch ein Jugendarrest zu einem Ausschluss von Grundsicherungsleistungen führt (Urt. v. 20.06.2024, Az. L 11 AS 117/24).
In dem Fall geht es um einen jungen Mann aus Peine, der Bürgergeld bezieht und unter Betreuung steht. Er hatte einen zweiwöchigen Jugendarrest nach dem Jugendgerichtsgesetz kassiert. Der Betreuer unterrichtete das Jobcenter, das dem Mann das Bürgergeld auszahlt, aber erst im Nachhinein über die Unterbringung in der Arrestanstalt. Da hatte das Jobcenter dem betreuten Mann das Bürgergeld für den laufenden Monat aber schon überwiesen.
Im Nachhinein forderte es für die zwei Wochen, die der Mann in Jugendarrest saß, rund 400 Euro gezahlte Leistungen zurück. Die nachträgliche Rückforderung stützte es formal auf § 48 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II und § 330 Abs. 3 S. 1 und 4 SGB III. Daran hatte das LSG später im Verfahren auch nichts auszusetzen.
Die Musik in diesem Fall spielt dagegen in der materiell-rechtlichen Ausschlussregelung des § 7 Abs. 4 SGB II. Danach bekommt kein Bürgergeld, wer "in einer stationären Einrichtung untergebracht" ist. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist nach S. 2 der Norm der Aufenthalt in einer "Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt."
LSG: Auch Jugendarrest ist eine Freiheitsentziehung i.S.d. SGB II
Der Mann, der den Jugendarrest kassiert hatte, klagte gegen den Rückforderungsbescheid des Jobcenters. So gelangte der Fall letztlich vor das LSG.
Dort argumentierte er: Ein Jugendarrest sei keine Haftstrafe und damit kein Strafvollzug. Entsprechend sei § 7 Abs. 4 SGB II dem Wortlaut nach nicht auf seinem Fall anwendbar, da Jugendarrest keine "Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung", also keine Haftstrafe sei. Er führte dazu einige Gerichtsentscheidungen an, wonach zwischen Haftstrafe und Jugendarrest ein Unterschied bestehe. Letzterer sei vielmehr ein jugendstrafrechtliches Zuchtmittel mit erzieherischem Charakter.
Das LSG folgte dieser Argumentation aber nicht und gab dem Jobcenter Recht. Die Formulierung "Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung" in § 7 Abs. 4 SGB II erfasst laut LSG alle Freiheitsentziehungen in allen Rechtsbereichen. Sein Argument: Auch ein Jugendarrest habe "unterbringenden Charakter" und sei daher eine Freiheitsentziehung.
Zwar sei der Jugendarrest aufgrund der Besonderheiten des Jugendstrafrechts in der Vollstreckung variabel und könne jederzeit geändert werden, erkannte das LSG. Gleichwohl stelle die aktuelle Gesetzesfassung nur auf die Freiheitsentziehung als solche ab, nicht aber auf ihre Rechtsgrundlage. Der Gesetzgeber habe damit klarstellen wollen, dass Personen im Freiheitsentzug generell keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen haben sollen, so das LSG.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache hat das Gericht Revision zugelassen.
ms/LTO-Redaktion
LSG Celle klärt Grundsatzfrage: . In: Legal Tribune Online, 26.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55268 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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