BVerfG zum Atomausstieg: Ent­schä­d­i­gungs­re­ge­lung für Ener­gie­un­ter­nehmen "unzu­mutbar"

von Manuel Göken

12.11.2020

Neun Jahre danach holt der beschleunigte Atomausstieg die Bundesregierung wieder ein. Das BVerfG verlangt schleunigst Nachbesserung, weil nicht nur der finanzielle Ausgleich für betroffene Kraftwerksbetreiber unzumutbar geregelt ist.

Der finanzielle Ausgleich für bestimmte Kraftwerksbetreiber wegen des beschleunigten Atomausstiegs nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima muss noch einmal komplett neu geregelt werden. Die Gesetzesänderung von 2018 sei unzumutbar und die Novelle außerdem wegen formaler Mängel nie in Kraft getreten, entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach einer Verfassungsbeschwerde des Energiekonzerns Vattenfall. Der Gesetzgeber ist damit "weiterhin zur alsbaldigen Neuregelung verpflichtet", wie es in dem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss heißt (v. 29.09.2020, Az. 1 BvR 1550/19).

Wegen des Reaktorunglücks im japanischen Fukushima hatte die Bundesregierung 2011 für die 17 deutschen Kernkraftwerke eine nur wenige Monate zuvor beschlossene Laufzeitverlängerung zurückgenommen. Bis spätestens Ende 2022 müssen alle Meiler zu festen Terminen vom Netz gegangen sein. Dann ist Schluss mit der Atomkraft.

Das BVerfG hatte 2016 nach Klagen von E.ON, RWE und Vattenfall geurteilt, dass die 13. Novelle des Atomgesetzes (AtG), die diese Kehrtwende besiegelte, in das Eigentumsgrundrecht eingreift, weil es deren Nutzungsmöglichkeit zeitlich begrenzt. Dies sei unter anderem deshalb unverhältnismäßig, weil absehbar gewesen sei, dass einige der betroffenen Unternehmen ihre zugewiesen Reststrommengen nicht nutzen könnten, so die damalige Begründung.

Betreiber müssen angemessen entschädigt werden

Der damalige Vizegerichtspräsident Ferdinand Kirchhof sagte bei der Urteilsverkündung seinerzeit, dass die gesetzliche Eigentumsgestaltung an sich zu lässig sei, ihr aber "die verfassungsrechtliche notwenige Ausgleichsregelung" fehle. Die Konzerne müssen also für sinnlos gewordene Investitionen und verfallene Produktionsrechte angemessen entschädigt werden. Dem wollte der Gesetzgeber mit der 16. AtG-Novelle eigentlich auch nachkommen.

Davon profitiert unter anderem Vattenfall. Der schwedische Konzern hatte wegen der 2011 festgelegten festen Abschalttermine keine Möglichkeit mehr, seinen beiden deutschen Kraftwerken Krümmel und Brunsbüttel ursprünglich einmal zugeteilte Strommengen noch konzernintern zu produzieren. Dafür soll der Konzern 2023 eine Ausgleichszahlung in Millionenhöhe verlangen können. Die genaue Summe wird sich laut Bundesumweltministerium erst dann bestimmen lassen.

Die Neuregelung sei aber ungeeignet, die festgestellten Grundrechtsverletzungen zu beheben, wie nun das BVerfG entschied. Die 16. AtG-Novelle sei weder in Kraft getreten, noch reiche sie aus, die bereits 2016 festgestellten Grundrechtsverstöße zu beheben.

Neuregelung nicht in Kraft getreten

Der Grundrechtsverstoß liegt ursprünglich in der 13. AtG-Novelle, welcher durch die 16. AtG-Novelle beseitigt werden sollte. Letztere sei jedoch nicht in Kraft getreten: Weder habe die EU-Kommission ihre Genehmigung erteilt, noch habe die Generaldirektion Wettbewerb eine "verbindliche Mitteilung" erhalten, wie es Art. 3 der 16. AtG-Novelle aber vorsieht.

Art. 82 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG) gibt dem Gesetzgeber zwar auf, den Tag des Inkrafttretens zu bestimmen. Trotzdem dürfte der Anfang auch von einer Bedingung abhängig gemacht werden, so das BVerfG. Allerdings müsse dafür dann ein zeitlicher Geltungsbereich bestimmt werden, "damit die Normadressaten den Beginn ihres Berechtigt- oder Verpflichtetseins erkennen können", wie der Senat formuliert. Dies sei nicht hinreichend klar geregelt.

Das BVerfG äußerte aber auch in der Sache Kritik. Es werde nicht ausreichen, die 16. AtG-Novelle unverändert in Kraft zu setzen, da die Verstöße gegen das Eigentumsgrundrecht nicht durch den darin enthaltenen § 7f Abs. 1 AtG behoben werden könnten, so der Erste Senat.

Ausgleichregelung "unzumutbar"

In der Vorschrift ist unter anderem geregelt, dass sich die Kernkraftwerkbetreiber zunächst bemühen müssen, ihre durch die Laufzeitverlängerung zugewiesen Strommengen "zu angemessenen Bedingungen" zu vermarkten, bevor sie einen Ausgleichsanspruch geltend machen können. Nach dem Beschluss entsteht so aber eine unzumutbare Situation für die Unternehmen, weil sie nicht wissen könnten, auf welche Bedingungen sie sich einlassen müssten. Die Regelung bürde ihnen auf, entweder potenziell unangemessene Konditionen zu akzeptieren oder ab zu riskieren, kompensationslos auszugehen.

Daneben erklärte das BVerfG auch eine Regelung für verfassungswidrig, nach der ein Ausgleich für die Kernkraftwerke Brunsbüttel auf zwei Drittel beziehungsweise Krümmel auf die Hälfte der Reststrommengen beschränkt ist. Dies sei jedenfalls zu unbestimmt, weil der Gesetzgeber die unterschiedlichen gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen unberücksichtigt ließ. Ein Ausgleichsanspruch wäre jedenfalls nicht "hinreichend klar" zum Ausdruck gebracht.

Unterdessen begrüßte Vattenfall die Entscheidung aus Karlsruhe. Die Gesetzesänderung aus dem Jahr 2018 sei den Vorgaben des Gerichts nicht einmal ansatzweise gerecht geworden und habe stattdessen die massiven Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Versorgern nochmals verschärft, teilte das Unternehmen am Donnerstag mit.

Schulze: "Es geht um einen Randbereich"

Der Essener Energiekonzern RWE, der an diesem Verfahren nicht beteiligt war, sieht seinen Anspruch auf Entschädigungen für die vorzeitige Abschaltung seiner Atomkraftwerke durch die Entscheidung des BVerfG ebenfalls gestärkt. "Nach erster Einschätzung wird sich unsere Rechtsposition definitiv nicht verschlechtern", sagte RWE-Finanzvorstand Markus Krebber am Donnerstag. Die Entscheidung müsse aber noch genau geprüft werden.

RWE erwarte als Entschädigung für nicht mehr nutzbare Reststrommengen seiner Atomkraftwerke ungefähr einen "mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag", sagte Krebber. "Daran hat sich auch heute nichts geändert." Bisher sei kein Geld geflossen. Das sei erst nach dem Atomausstieg vorgesehen.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze sagte nach dem Beschluss aus Karlsruhe zu, rasch für eine neue Regelung zu sorgen. "Wir werden das Urteil gründlich analysieren und zügig eine Gesetzesregelung auf den Weg bringen, die den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes gerecht wird", sagte die SPD-Politikerin am Donnerstag.

"Die Bundesregierung respektiert selbstverständlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts", sagte Schulze. Klar sei, dass das Urteil nicht den Atomausstieg bis 2022 an sich betreffe. "Es geht um einen Randbereich: Regelungen für gewisse etwaige Ausgleichsansprüche der AKW-Betreiber."

Wegen des Atomausstiegs ist auch noch eine Klage von Vattenfall beim internationalen Schiedsgericht der Weltbank (ICSID) in Washington anhängig. Hier geht es um Forderungen von mehreren Milliarden Euro wegen der dauerhaften Stilllegung von Krümmel und Brunsbüttel.

Mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

Manuel Göken, BVerfG zum Atomausstieg: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43412 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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