Können neue Pflegeeltern besser auf die Bedürfnisse eines Kindes eingehen als die bisherigen, kann der Familienwechsel im Sinne des Kindeswohls angeordnet werden. Eine Verletzung des Familiengrundrechts sieht das BVerfG darin nicht.
Die langjährigen Pflegeeltern eines fünfjährigen Jungen, die sich gegen den Wechsel ihres Pflegekindes in eine andere Familie wehren wollten, sind mit ihrer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gescheitert (Beschl. v. 28.08.2023, Az. 1 BvR 1088/23). Dass das Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) durch den Wechsel verletzt wurde, sei nicht hinreichend dargelegt worden, so das BVerfG. Es sei vielmehr zu erwarten, dass der Verbleib bei den bisherigen Pflegeeltern für das Wohl des Kindes, das an Entwicklungsverzögerungen leidet, eine größere Gefahr darstelle als der Wechsel zu neuen Pflegeeltern.
Die Beschwerdeführer waren seit dem 7. Lebensmonat des Kindes dessen Dauerpflegeeltern. Während der Schwangerschaft hatte die leibliche Mutter des Jungen Drogen konsumiert. Mehr als vier Wochen lang musste der Säugling deswegen direkt nach der Geburt mit einem Substitut behandelt werden. Im Laufe der Jahre zeigten sich Verzögerungen in der Entwicklung des Kindes, die wohl auf den Drogenkonsum der Mutter zurückzuführen sind. Das Kind erhielt auch eine Frühförderung durch eine Heilpädagogin und eine logopädische Behandlung. In dem integrativen Kindergarten, den der Junge seit zwei Jahren dank einer 1:1-Betreuung besuchen kann, ist er häufig durch Konflikte mit anderen Kindern aufgefallen. Er hat sich schnell angegriffen oder gekränkt gefühlt und Schwierigkeiten gehabt, sich abzugrenzen. Auch zwischen den Pflegeeltern und dem Personal des Kindergartens ist es häufiger zu Konflikten gekommen.
Das Jugendamt befürchtete daher, dass die Pflegeeltern den hohen Anforderungen an die Erziehung des Kindes nicht mehr gerecht werden könnten. Im Februar wurde das Kind daher bei anderen Pflegeeltern untergebracht, die nach Auffassung beteiligter Fachleute und Gutachter besser mit den Verhaltensauffälligkeiten des Kindes zurechtkommen.
Unterbringung in einer "professionellen" Pflegefamilie zum Wohl des Kindes
Die bisherigen Pflegeeltern wehrten sich gegen diesen Wechsel und hatten vor den zuständigen Familiengerichten erreichen wollen, dass das Kind wieder zu ihnen zurückkehrt. Damit sind sie erfolglos geblieben. Die Fachgerichte waren der Ansicht, dass die Gefahr für das Wohl des Kindes bei einem Verbleib im Haushalt der bisherigen Pflegeeltern größer ist als die mit dem Wechsel zu den neuen Pflegeeltern verbundene Gefahr.
Dass diese Einschätzung durch die Fachgerichte nicht mit den Grundrechten, insbesondere mit dem Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG, zu vereinbaren sei, haben die Beschwerdeführer nach Ansicht des Karlsruher Gerichts nicht hinreichend dargelegt. Die Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG deshalb nicht zur Entscheidung angenommen.
Grundsätzlich müsse eine Gefährdung des Kindeswohls ausgeschlossen werden, wenn Kinder ihren Pflegeeltern im Sinne des § 1632 Abs. 4 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) weggenommen werden sollen, um in einer anderen Pflegefamilie untergebracht zu werden, heißt es in der Beschlussbegründung. Komme eine Gefährdung des Kindeswohls aber sowohl durch den Verbleib als auch den Wechsel in Betracht, müsse abgewogen werden, welche Gefährdung die geringere ist. Nicht festgestellt werden muss dabei, ob eine konkrete Gefährdung für das Kind in der bisherigen Pflegefamilie besteht, hat das BVerfG damit klargestellt.
Es geht nicht um die Interessen der bisherigen Pflegeeltern
Die Anordnung über den Verbleib des Kindes von einer solchen Abwägung der Gefährdung für das Kindeswohl abhängig zu machen, sei mit dem Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar, so das BVerfG. Es betont nämlich, dass § 1632 Abs. 4 BGB weniger der Stärkung der Stellung der Pflegeeltern als vielmehr der Durchsetzung des Kindeswohls diene.
Bei der Herausnahme aus der bisherigen Pflegefamilie sei zwar die Bindung des Kindes an die bekannte Familie und die Gefahr für das Kindeswohl, die eine Trennung von der Familie mitbringe, zu berücksichtigen. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg (Beschl. v. 12.05.2023, Az. 10 UF 316/23) sei aber erkennbar am Wohl des Kindes ausgerichtet. Das Ergebnis, dass "der Wechsel des Kindes in eine neue Pflegefamilie trotz des Bindungsabbruchs des Kindes zu seiner bisherigen Pflegefamilie kindeswohldienlicher ist als ein Verbleib bei den Beschwerdeführenden" sei daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Den bisherigen Pflegeeltern fehle es, so das BVerfG weiter, nach Einschätzung der Fachleute auch aufgrund eigener Überforderung an einem grundlegenden Verständnis für die Besonderheiten und Bedürfnisse des Kindes. Im Ergebnis wird der Junge fortan bei seiner neuen Pflegefamilie leben, bei der er sich auch bereits gut eingelebt habe, wie es in einer Mitteilung des BVerfG heißt.
lmb/LTO-Redaktion
BVerfG nimmt Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an: . In: Legal Tribune Online, 07.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52652 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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