BGH zu umstrittenen Thermofenstern: Daim­lers Die­sel­gate

27.01.2021

Bei der Dieselaffäre denken die meisten immer zuerst an VW. Doch auch gegen Daimler zogen Tausende vor Gericht. Der BGH schätzte nun erstmals die Chancen der klagenden Fahrzeughalter auf Schadensersatz ein.

Diesel-Besitzer dürften es mit der Forderung nach Schadensersatz vom Autobauer Daimler wegen der Abgasaffäre deutlich schwerer haben als im Fall von VW - ausgeschlossen sind Ansprüche aber nicht. Der Bundesgerichtshof (BGH) veröffentlichte am Dienstag eine erste Entscheidung zum sogenannten Thermofenster. Damit gab das Karlsruher Gericht die Richtung vor für die noch folgenden Verfahren gegen den Stuttgarter Konzern vor dem höchsten deutschen Zivilgericht (Beschl. v. 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19).

Tausende Besitzer eines Mercedes-Diesel werfen Daimler wegen des Thermofensters, also dem Bereich, in dem die Abgasreinigung bei zu geringen Außentemperaturen reduziert wird, die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte den Autoherstellern in einem Fall aus Frankreich enge Grenzen für die Verwendung von Thermofenstern gesetzt und entschieden, dass die Technik nur zulässig ist, wenn sie vor plötzlichen, unmittelbar bevorstehenden Motorschäden schützt, die zu einer konkreten Gefahr beim Fahren führt. 

Entwicklung und Einsatz eines solchen Thermofensters allein begründeten aber noch keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), entschied der BGH. Das gelte selbst dann, wenn die Technik tatsächlich als unzulässig einzustufen sei und Daimler damit habe Kosten senken und Gewinne erzielen wollen. Sittenwidrig sei ein Verhalten nur dann, wenn weitere Umstände hinzukämen, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen, betonte der BGH. Es müsse festgestellt sein, dass Daimler "in dem Bewusstsein handelte, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm". 

Der Fall sei auch nicht vergleichbar mit dem von VW. Hier hatte der BGH in einem Grundsatzurteil im Mai 2020 eine sittenwidrige Schädigung gesehen, weil der Konzern bei der Abgasreinigung eine Funktion eingebaut hatte, die erkennt, ob das Fahrzeug auf dem Prüfstand getestet wird. Ein derartiges "arglistiges Vorgehen" sei bei Daimler nicht zu erkennen, hieß es jetzt.

Beide Seiten sehen Urteil positiv

Erledigt ist das Thema Diesel-Klagen und möglicher Schadensersatz für Daimler damit allerdings nicht. Der BGH will sich im März ausführlicher damit beschäftigen. Zweimal war bereits eine Verhandlung angesetzt. Beide kamen jedoch nicht zustande, weil die klagenden Autokäufer ihre Revision gegen ein vorangegangenes Urteil jeweils kurzfristig zurückgezogen hatten.

In dem Fall jetzt ging es um eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Köln. Diese Gelegenheit nutzten die Richter, um vorab schon einmal ihre Position öffentlich zu machen. Der klagende Autokäufer hatte im Januar 2012 eine Mercedes C-Klasse mit Dieselmotor erworben, für die kein amtlicher Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes vorliegt.

Obwohl auch die Kölner Richter keinen Schadensersatzanspruch erkannt und die Klage abgewiesen hatten, müssen sie sich nun noch einmal mit dem Fall befassen. Aus Sicht des BGH waren sie dem Vorwurf des Fahrzeughalters, Daimler habe im Typgenehmigungsverfahren für das Auto unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise der Abgasrückführung gemacht, nicht ausreichend nachgegangen. Dazu werde das OLG zunächst Daimler "Gelegenheit zur Erwiderung auf dieses Vorbringen geben müssen".

Der Autobauer hält einen Großteil der Klagen mit der Einschätzung aus Karlsruhe trotzdem für weitgehend abgeräumt. "Wir gehen davon aus, dass die Entscheidung des BGH Leitcharakter für Tausende von Gerichtsverfahren in Deutschland haben wird", sagte ein Sprecher. Karlsruhe habe in der Sache die überwiegende Rechtsprechung der Land- und Oberlandesgerichte bestätigt. "Aus unserer Sicht und aus Sicht vieler Experten sind Thermofenster technisch notwendig und haben nichts mit einer Täuschungsabsicht zu tun." Man sei zuversichtlich, dass das OLG Köln die Klage erneut abweisen werde.

Auch die Gegenseite bewertete die Entscheidung positiv. "Der Bundesgerichtshof ist dem Vorgehen einiger Oberlandesgerichte entgegengetreten, die Ansprüche wegen Verwendung des Thermofensters pauschal zurückgewiesen haben. Das ist nach dieser Entscheidung nicht mehr haltbar", erklärte Rechtsanwalt Sebastian Steffens von der Kanzlei Von Rüden, die nach eigenen Angaben den Kläger vertritt. "Wir gehen davon aus, dass die Daimler AG in den Verfahren nun ihrerseits mehr liefern muss."

dpa/acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BGH zu umstrittenen Thermofenstern: . In: Legal Tribune Online, 27.01.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44103 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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