Erste BGH-Verhandlung zum Dieselskandal: Kauf­preis zurück, aber minus gefah­rene Kilo­meter

von Pia Lorenz

05.05.2020

Der BGH hat klar gemacht, dass er im Verbau von Abschalteinrichtungen eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung sieht. Sogar Gebrauchtwagen könnten VW-Fahrer dann zurückgeben. Und doch kann VW auch aufatmen.

Käufer von VW-Autos können nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) einen Anspruch auf Schadensersatz wegen des Dieselskandals haben. Der für das Deliktsrecht zuständige VI. Zivilsenat unter dem Vorsitz von Stephan Seiters zeigte sich am Dienstag im Rahmen der ersten mündlichen Verhandlung wegen zivilrechtlicher Ansprüche aufgrund der Abschalteinrichtungen auf der Seite der betroffenen Verbraucher.

VW stellt gegenüber dem geltend gemachten Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 Bürgerliches Gesetzbuch seit Jahren vor allem in Frage, dass eine Täuschung vorliege - speziell gegenüber späteren Käufern, welche die Kfz als Gebrauchtwagen erwerben. Das Argument, VW könne gar nicht täuschen, wenn es zu dem Käufer keine Vertragsbeziehung gebe und dem Konzern auch der Kaufpreis nicht zumindest mittelbar zugutekomme, scheint den BGH nicht zu überzeugen.

Der Kläger in dem Fall, über den der Senat in Karlsruhe am Dienstag verhandelte, hat seinen VW Sharan nämlich im Jahr 2014 als Jahreswagen erworben - und das nicht einmal von einem VW-Vertragshändler, sondern von einem freien Händler. Wenn der BGH entsprechend seiner am Dienstag erkennbaren Tendenz entscheidet, seiner Klage stattzugeben, stünde fest, dass neben den Neuwagenkäufern auch diejenigen grundsätzlich einen Anspruch gegen VW geltend machen können, die ihren vom Skandal betroffenen VW-Diesel gebraucht bei freien Händlern gekauft haben.

Das Auto so nicht gewollt: Dieselfahrer haben einen Schaden

Streitig war nach zahlreichen Entscheidungen der deutschen Oberlandesgerichte vor allem noch, ob den VW-Besitzern durch die unzulässige Abgastechnik in ihren Fahrzeugen ein Schaden entstanden ist.

Mit dem vorgetragenen Argument, die Fahrzeuge seien spätestens seit einem Software-Update nicht mehr von der Stilllegung bedroht und voll nutzbar gewesen, konnte BGH-Anwalt* Dr. Reiner Hall aber den BGH nicht überzeugen. Der Senat sieht offenbar den Vertragsschluss über den nur angeblich umweltfreundlichen Wagen, der sich im Nachhinein als so nicht gewollt herausstellt, als ausreichenden Schaden an.

Ein VW-Sprecher wiederholte die Argumentation von Freshfields auch nach der mündlichen Verhandlung und teilte mit, entgegen "der vorläufigen Ansicht des BGH sind wir nicht der Ansicht, dass allein der Kauf eines Fahrzeugs schon eine Schädigung darstellt". Worin hier der konkrete Schaden liegen soll, sei für Volkswagen nicht ersichtlich.

Für den Kläger zeigte sich Claus Goldenstein am Dienstag hingegen erfreut. "Der BGH hat sich heute im Zusammenhang mit dem VW-Dieselskandal in aller Ausführlichkeit verbraucherfreundlich positioniert und scheint unserer Argumentation weitestgehend zu folgen", kommentierte der Namenspartner der Kanzlei Goldenstein & Partner, die neben dem klagenden VW-Fahrer nach eigenen Angaben insgesamt rund 21.000 Dieselskandal-Geschädigte vertritt.

Gezogene Nutzungen sind abzuziehen

Keineswegs folgen möchte der BGH offenbar der Argumentation der Verbraucheranwälte aber in Bezug auf die Rechtsfrage der gezogenen Nutzungen. Wie auch zahlreiche andere Verbraucheranwälte hatten sich Goldenstein & Partner eigentlich von der Entscheidung aus Karlsruhe noch deutlich mehr erhofft. 

Der VI. Zivilsenat machte nämlich auch deutlich, dass die Käufer der schmutzigen Diesel bei der Rückabwicklung des Vertrags keineswegs den vollen gezahlten Kaufpreis zurückbekommen.

Vielmehr müssen sie sich die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen, also die Tatsache, dass sie den – wenn auch nicht sehr umweltfreundlichen, so doch fahrtüchtigen – Wagen ja genutzt haben. Bei einem Auto geschieht das in der Regel dadurch, dass die während der Nutzungszeit gefahrenen Kilometer ins Verhältnis gesetzt werden zu der zu erwartenden Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs. Der Käufer bekommt also nicht den gesamten Kaufpreis zurück, sondern muss sich den Wert der gefahrenen Kilometer abziehen lassen.

An dieser schadensersatzrechtlichen Vorgabe will der BGH offenbar nicht rütteln. Die Karlsruher Richter sehen darin keine unbillige Entlastung von VW. Damit liegt der Senat auf einer Linie mit der obergerichtlichen Rechtsprechung. Vollkommen abgelehnt hat es bislang, soweit ersichtlich, kein einziges Oberlandesgericht, die gezogenen Nutzungen anzurechnen. Es erscheint auch kaum wahrscheinlich, dass der BGH diese Anrechnung zeitlich begrenzen wird, wie es bisher einige wenige Gerichte getan haben. Sie haben die Anrechnung, die normalerweise bis zur Rückabwicklung des Kaufvertrags andauert, bis zu dem Zeitpunkt beschränkt, zu dem der Käufer VW erstmals zur Rückabwicklung des Vertrags aufforderte.

VW: "Rechnen nicht mehr mit vielen neuen Klagen"

So hätte es nämlich nicht VW in der Hand, den Anspruch zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Der Autobauer verweigerte sich in Deutschland den geltend gemachten Ansprüchen seiner Kunden und prozessierte. Je länger ein Prozess sich hinzieht, desto länger muss der Käufer das Auto fahren und desto mehr Kilometer muss er sich anrechnen lassen. Das kann, vor allem bei älteren Autos, den Kaufpreisrückzahlungsanspruch massiv reduzieren. Jeder Tag, der vergeht, ist also – auch wenn Verzugszinsen anfallen - ein guter Tag für VW. 

Seit Jahren wird dem Autobauer nachgesagt, er verfolge aus genau diesem Grund eine Verschleppungstaktik, habe Grundsatzurteile verhindert und auch in klaren Fällen Rechtsmittel eingelegt, um die Rückzahlungsansprüche der geprellten Käufer durch den Vorteilsausgleich immer weiter zu mindern. Unternehmerisch gesehen könnte sich eine solche Strategie durchaus rechnen – und sich am Ende, vor allem mit Blick auf den erst vor kurzem ausgehandelten Vergleich mit hunderttausenden Geschädigten, auch auszahlen.

Der VW-Sprecher sagte am Dienstag nach der Verhandlung, Anlass für neue Klagen sehe er kaum. "Gründe dafür sind die hohe Annahmequote für die Vergleiche im Musterfeststellungsverfahren und die Verjährung von Ansprüchen, die nicht zur Musterfeststellungsklage angemeldet wurden". Mit über 230.000 Betroffenen des Dieselskandals hat VW sich vor kurzem im Rahmen der Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands auf eine vergleichsweise Zahlung geeinigt. Nur wer den Vergleich sehr spät abgeschlossen hat, könnte seine Erklärung jetzt, sofern sinnvoll, noch widerrufen. Zahlreiche andere Fragen in Sachen Dieselskandal sind allerdings noch offen, unter anderem auch solche danach, wann welche Forderungen gegen den Autobauer verjähren. Die nächsten Termine beim BGH stehen im Juli an.

Mit Materialien von dpa

* Anm. d. Red.: Hier stand fälschlich, Dr. Reiner Hall sei Partner bei Freshfields. Richtig ist, dass er Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Kanzlei Jordan & Hall in Karlsruhe ist. VW wird in Dieselskandal-Angelegenheiten vertreten von Freshfields. (Änderung am Tag der Veröffentlichung, 17.53 Uhr)

Zitiervorschlag

Erste BGH-Verhandlung zum Dieselskandal: . In: Legal Tribune Online, 05.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41514 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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